Die Recherchen und der Tod von Ján Kuciak haben längst die europäische Ebene erreicht. Am Mittwochmorgen trug die Slowakei in der wöchentlichen Runde der Kommissare der Europäischen Union (EU) den aktuellen Stand der Ermittlungen vor. Angesichts der Hinweise auf Verstrickungen der aktuellen Regierung mit kriminellen Netzwerken stellt sich allerdings die Frage, ob die politische Spitze in Bratislava tatsächlich die Rolle des Aufklärers einnehmen kann.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger erklärt im Gespräch mit Ulf Poschardt, dem Chefredaktor der deutschen Zeitung «Die Welt», dass Europa die Pressefreiheit verteidigen werde und verurteilt den Mord mit aller Deutlichkeit.
WELT: Ein junger slowakischer Investigativjournalist und seine Freundin wurden erschossen – vermutlich aufgrund seiner Recherchen. Vor wenigen Monaten erst wurde eine Journalistin in Malta getötet. Wie kann so etwas in der Europäischen Union möglich sein?
Günther Oettinger: Es handelt sich in beiden Fällen um schwerwiegende und unerträgliche Vorgänge. Wir stehen mit der Regierung in Bratislava in Kontakt und haben volles Vertrauen, dass die Behörden dort ihrer Arbeit nachgehen. Die Unabhängigkeit der Presse und die dahinterstehende Meinungsfreiheit stellt einen Grundwert der Europäischen Union dar. Das nimmt die Kommission sehr ernst. Die Unabhängigkeit der Medien darf nicht in Gefahr geraten.
Konkret hat der slowakische Premier ein mehr als fragwürdiges Verhältnis zur Presse – Fragen von konservativen oder liberalen Journalisten soll er schon gar nicht mehr zulassen. Kann die EU ein solches Verhalten dulden?
Ich glaube, dass Premierminister Robert Fico die Vorteile der Europäischen Union für sein Land klar erkannt hat. Anders als etwa Polen oder Ungarn sucht die Slowakei nicht die Konfrontation mit der EU. Klar ist aber: Es gibt die schlechte Entwicklung, dass führende Politiker in der Slowakei eine generelle Medienschelte betreiben. Das beobachten wir sehr wachsam.
Der Kollege ist Korruptionsvorwürfen zwischen Politik, Wirtschaft und Kriminalität nachgegangen. Wie wichtig sind solche Recherchen?
Der junge Journalist hat Informationen veröffentlicht, denen man jetzt unbedingt nachgehen muss. Es ist ein schwerer Vorwurf, dass mit europäischen Steuermitteln nicht ordnungsgemäss umgegangen wurde und womöglich Korruption und letztendlich sogar die Mafia im Spiel ist. Da ist Aufklärung nötig.
Die Mafia soll sich durch EU-Mittel bereichert haben, die für die Landwirtschaft im Osten der Slowakei gedacht waren. Wie gross ist dieses Missbrauchsproblem?
Es gibt in der gesamten EU immer mal wieder Verdacht auf Untreue und Betrug – nicht nur in Osteuropa. In solchen Fällen kann unsere Antikorruptionsbehörde OLAF Vorgänge aufklären und ihre Erkenntnisse den nationalen Behörden wie zum Beispiel Staatsanwaltschaften übergeben. Bei einem begründeten Anfangsverdacht kann die Behörde auch selbst ein Verfahren einleiten. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die ganz grosse Mehrzahl der Mittel wird korrekt vergeben und damit im Sinne des Steuerzahlers. Die Kontrollen zeigen, dass Geldverschwendung die Ausnahme ist und seltener wird.
Wie geht es jetzt mit der Slowakei weiter? Nehmen Sie die Recherchen auf?
Wir schauen uns den Fall jetzt genau an. Wir werden in ein paar Wochen Klarheit über die Finanzströme und einen möglichen Missbrauch haben. Ich halte es für möglich, dass in diesem Fall direkte oder indirekte Zahlungen an Landwirte oder Agrarunternehmen aus unserem europäischen Haushalt für kriminelle Zwecke missbraucht wurden. Sollte das tatsächlich zutreffen, werden wir selbstverständlich eng mit den nationalen Behörden zusammenarbeiten.