BLICK: Frau von Rütte, soll man Dschihadisten ausbürgern?
Barbara von Rütte: Ich wäre damit sehr zurückhaltend. Der Entzug der Staatsbürgerschaft ist ein Eingriff in die Menschenrechte. Die Staatszugehörigkeit ist Teil der sozialen Identität einer Person.
Gerade die Dschihadisten nehmen es mit den Menschenrechten nicht so genau.
Das mag sein. Aber primär ist die Beurteilung eines Dschihadisten ein Fall fürs Strafrecht. Der Passentzug ist in unserer Rechtssprechung nicht als Strafe vorgesehen. Ich erreiche damit auch keine höhere Sicherheit, denn die Einreise in die Schweiz und das Verüben von Anschlägen sind auch ohne Pass möglich.
Warum gibt es denn die Möglichkeit der Ausbürgerung überhaupt?
Es ist ein politischer Entscheid, den man nach dem Zweiten Weltkrieg gefällt hat. Damals ging es darum, Nationalsozialisten loszuwerden und die Neutralität zu wahren.
Grossbritannien will eine junge Mutter ausbürgern, die offenbar keine weitere Staatsangehörigkeit hat. Was sagen Sie dazu?
Grossbritannien kennt Ausbürgerungen auch bei Personen ohne Doppelbürgerrecht, womit es sich über das Völkerrecht hinwegsetzt und Staatenlose schafft. Staatenlosigkeit ist ein äusserst prekärer Zustand. Man hat keine Dokumente, kann kein Bankkonto eröffnen – man fällt aus dem System.
Ob von Schweizer Eltern geboren oder eingebürgert: Es gibt verschiedene Arten, Schweizer zu werden. Wird die Nähe zur Schweiz bei einem Entzug des Bürgerrechts berücksichtigt?
Im Gesetz macht das keinen Unterschied. Alle Schweizer Bürger sind gleich, egal, wie sie das Bürgerrecht erhalten haben.
Finden Sie, dass man die Verbundenheit zum Land berücksichtigen müsste?
Vieles, was bei einer Einbürgerung eine wichtige Rolle spielt, hat bei einer Ausbürgerung keine Bedeutung mehr. Die Verbundenheit zur Schweiz kann man bei einem Entzugsverfahren schon berücksichtigen, da es ja immer auch um Doppelbürger geht. Es ist stossend, wenn die Schweiz jemanden ausbürgert und sich das andere Land dann um die Person kümmern muss. Es kommt mir vor wie ein Schwarz-Peter-Spiel.
Kann man jemanden ausbürgern, der gar nicht in der Schweiz vor Gericht erscheint?
Grundsätzlich muss jemand in der Schweiz rechtmässig verurteilt sein. Wenn aber jemand in einem Staat lebt, wo eine strafrechtliche Verfolgung gar nicht möglich ist, genügen für ein Entzugsverfahren auch substanzielle Hinweise, etwa vom Nachrichtendienst, dem EDA und den Strafverfolgungsbehörden. Das Prozedere ist aber recht ungewiss, da die Erfahrungen fehlen.
Soll man bei der Ausbürgerung einer Person gleich der ganzen Familie den Pass entziehen?
Das Gesetz sieht das nicht vor. Und ich finde es richtig, dass jede Person einzeln beurteilt wird. Es sollte keine Sippenhaft geben.
Wie sieht es für Kinder aus, die im Dschihad geboren wurden?
Auch bei Kindern muss man einzeln prüfen, ob das Bürgerrecht entzogen werden darf. Dabei ist auch das Kindeswohl ein wichtiger Punkt. Normalerweise dürfte ein Entzug bei Kindern nicht verhältnismässig sein.
Barbara von Rütte (33) ist Doktorandin am Zentrum für Migrationsrecht der Uni Bern und dissertiert zum Thema «Staatsangehörigkeit als Menschenrecht». Ihr Doktorvater ist Alberto Achermann, der 2015 für das Staatssekretariat für Migration ein Gutachten zum Entzug des Bürgerrechts geschrieben hat.
Ausbürgern kann man laut Bürgerrechtsgesetz Personen, deren «Verhalten den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich nachteilig ist», also ein schweres Verbrechen im Rahmen von Terrorismus, Extremismus, Völkermord oder schwerer Kriminalität begangen haben. Voraussetzung ist, dass sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen.
Das Bürgerrechtsentzugsverfahren richtet sich nach den Grundsätzen des Verwaltungs- und Verfahrensrechts. Das rechtliche Gehör erfolgt in der Regel schriftlich, allenfalls über eine Schweizer Auslandsvertretung. Ist der Aufenthaltsort unbekannt oder gibt es keine Schweizer Vertretung vor Ort, wird das Verfahren im Bundesblatt angekündigt.
Der Anstoss für ein Entzugsverfahren kommt in der Regel von der Bundespolizei Fedpol, allenfalls auch vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Die relevanten Informationen erfolgen meistens über die zuständigen Sicherheitsbehörden. Es wird kein Unterschied gemacht, ob jemand den Schweizer Pass durch Abstammung oder Einbürgerung besitzt.
Zuständig beim Bund ist die Abteilung Bürgerrecht des SEM, das eng mit dem Fedpol und dem Nachrichtendienst zusammenarbeitet. Wegen der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte hat der Betroffene eine Beschwerdemöglichkeit bis vor Bundesgericht.
Zurzeit läuft gegen eine Person ein Ausbürgerungsverfahren, gegen einige weitere wird ein Verfahren geprüft. Guido Felder
Ausbürgern kann man laut Bürgerrechtsgesetz Personen, deren «Verhalten den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich nachteilig ist», also ein schweres Verbrechen im Rahmen von Terrorismus, Extremismus, Völkermord oder schwerer Kriminalität begangen haben. Voraussetzung ist, dass sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen.
Das Bürgerrechtsentzugsverfahren richtet sich nach den Grundsätzen des Verwaltungs- und Verfahrensrechts. Das rechtliche Gehör erfolgt in der Regel schriftlich, allenfalls über eine Schweizer Auslandsvertretung. Ist der Aufenthaltsort unbekannt oder gibt es keine Schweizer Vertretung vor Ort, wird das Verfahren im Bundesblatt angekündigt.
Der Anstoss für ein Entzugsverfahren kommt in der Regel von der Bundespolizei Fedpol, allenfalls auch vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Die relevanten Informationen erfolgen meistens über die zuständigen Sicherheitsbehörden. Es wird kein Unterschied gemacht, ob jemand den Schweizer Pass durch Abstammung oder Einbürgerung besitzt.
Zuständig beim Bund ist die Abteilung Bürgerrecht des SEM, das eng mit dem Fedpol und dem Nachrichtendienst zusammenarbeitet. Wegen der Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte hat der Betroffene eine Beschwerdemöglichkeit bis vor Bundesgericht.
Zurzeit läuft gegen eine Person ein Ausbürgerungsverfahren, gegen einige weitere wird ein Verfahren geprüft. Guido Felder