Fünf Angeklagte, fünf Jahre Prozessdauer, 437 Verhandlungstage: Im Monsterverfahren gegen die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) sprach das Oberlandesgericht München gestern die Urteile. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe muss lebenslang hinter Gitter. Und zwar wirklich: Wegen der festgestellten «besonderen Schwere der Schuld» kann sie kaum damit rechnen, nach fünfzehn Haftjahren frühzeitig entlassen zu werden. Die anderen vier Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verurteilt.
Das Verfahren gegen den NSU war der wohl schwierigste und zugleich beunruhigendste Prozess gegen Terrorismus von rechts in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn auch wenn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine Beisitzer laut Anklageschrift «nur» zehnfachen Mord, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Verhandlung, schweren Raub, Waffengeschäfte und schwere Brandstiftung zu verhandeln hatten, an jedem Verhandlungstag ging es auch um die Arbeit der deutschen Ermittlungs-Behörden und des Inlandsgeheimdienstes.
Denn die Fahndung nach den Tätern und ihren Hintermännern war eine schier endlose Abfolge grotesker und vor Gericht nie abschliessend geklärter Pannen. Da gab es jahrelange Ermittlungen allein im familiären Umfeld der Opfer. Eine geradezu obsessive Blindheit der Fahnder auf dem rechten Auge. Immer wieder die unerklärte Nähe von V-Männern zu den Tätern. Ergebnislose parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Und zuletzt sogar das «versehentliche» Schreddern vieler Akten zum Rechtsextremismus beim Thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz.
Fast 14 Jahre hatte Zschäpe zusammen mit ihren Gesinnungsgenossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den ostdeutschen Bundesländern im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die Neonazis neun – zufällig ausgewählte? – Menschen türkischen oder griechischen Ursprungs und eine Polizistin. Bei zwei Bombenanschlägen wurden Dutzende Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Ihr Untergrund-Leben finanzierten die Terroristen mit 15 Raubüberfällen.
Erst am 4. November 2011 flog alles auf, als Mundlos und Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall Selbstmord begingen und Zschäpe die letzte gemeinsame Fluchtwohnung im sächsischen Zwickau in Brand steckte. Zumindest die operative Zelle des NSU war am Ende. Nun endlich wurden der Neonazi und NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie die Rechtsextremisten Holger Gerlach, André Eminger und Carsten Schulze als Unterstützer des NSU identifiziert und angeklagt.
«Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats», lobte Bundesanwalt Herbert Diemer das Prozessergebnis. Doch mit diesem Optimismus steht er ziemlich allein. Nur die wenigsten glauben, dass der Münchner Mammutprozess die ganze Wahrheit über den NSU ans Tageslicht gebracht hat.
Vor allem die Nebenkläger beklagten die mangelnde Bereitschaft der Behörden, eigene Fehler und Versäumnisse zu benennen und die nötigen Konsequenzen aus ihnen zu ziehen. «Wer steckte wirklich hinter den Morden?», protestierte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu nur Minuten nach der Urteilsverkündung: «Wer vom Geheimdienst? Wer vom ‹Staat im Staate›?» Diese Fragen seien vor Gericht ohne Antwort geblieben.
Und wer gehofft hatte, die teilweise harten Strafen könnten deutsche Neonazis beeindrucken, sah sich schnell widerlegt. Als Richter Götzl den zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilten André Eminger noch im Gerichtssaal in die Freiheit entliess, brach unter gewissen Zuschauern Jubel aus.
Das letzte Wort im NSU-Prozess ist ohnehin noch nicht gesprochen. Die Verteidiger von Beate Zschäpe haben bereits Revision angekündigt. Auch die Angehörigen der Opfer sind mit den Urteilen nicht zufrieden. Sie verlangen weitere Antworten.