Das italienische Gesundheitssystem kollabiert. Allein am Donnerstag gab es 2651 neue Corona-Fälle. Und ein Ende ist nicht in Sicht – von Norditalien aus breitet sich die Viruswelle in den Süden aus. Ärzte schlagen Alarm. Die Betten und Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen reichen nicht, um einen sprunghaften Anstieg schwerer Fälle zu behandeln.
«Wir sind am absoluten Limit angekommen», warnt eine Ärztin aus Bozen im «Spiegel». «Wenn wir eine Patientin hereinrufen, um sie zu behandeln, stehen schon drei neue vor der Tür.»
Wer darf leben – und wer nicht?
In Südtirol haben sich rund 80 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Sechs Menschen mussten in einen künstlichen Schlaf versetzt und beatmet werden. «Wir haben zwei Intensivstationen komplett für Corona-Patienten freigeräumt. Die Krankenhäuser nehmen – neben den Coronavirus-Infizierten – nur noch Notfälle an», erklärt Marc Kaufmann, Ärztlicher Koordinator für Notfallmedizin in Südtirol, im «Spiegel.»
In vier von fünf Fällen verläuft die Infektion harmlos. Doch rund 15 Prozent der Erkrankten leidet unter Kurzatmigkeit, einem niedrigen Sauerstoffgehalt im Blut und Lungenproblemen. Bei knapp fünf Prozent verläuft die Krankheit schwer – mit Atemversagen, einem septischem Schock oder Problemen mit mehreren Organen.
Was, wenn die Spitäler voll sind? Wer wird zuerst behandelt? Wer darf leben – und wer nicht? In Italien müssen sich Ärzte diesen schwierigen Fragen bereits stellen.
Junge und Gesunde sollen vorrangig behandelt werden
Helfen sollen ihnen Empfehlungen der italienischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (SIAARTI). Der sperrige Name des Dokuments: «Empfehlungen zur klinischen Ethik und für die Zulassung zur Intensivbehandlung beziehungsweise ihre Aussetzung unter den aussergewöhnlichen Bedingungen des Ungleichgewichts zwischen Notwendigkeit und verfügbaren Ressourcen»
Die Empfehlungen haben es in sich. Es geht um nicht weniger als die ethische Frage danach, wer Vorrang hat, wenn die medizinischen Kapazitäten am Limit sind.
«Angesichts des gravierenden Mangels an medizinischen Ressourcen müssen die Zuweisungskriterien gewährleisten, dass die Patienten mit den höchsten Chancen auf therapeutischen Erfolg Zugang zu Intensivmedizin erhalten», zitiert der «Tagesanzeiger» aus dem Dokument. «Es geht darum, ‹die höchste Hoffnung auf Leben und Überleben› in den Vordergrund zu stellen.»
In Mailand werden Alte und Kranke bereits abgewiesen
Das Dokument beinhalte eine Reihe von Empfehlungen. Beispielsweise könnte es «notwendig werden, eine Altersgrenze für den Zugang zur Intensivpflege festzulegen». Nachrangig behandelt werden könnten auch Menschen mit Begleiterkrankungen.
Das SIAARTI betont, das sei kein Werturteil, sondern schlicht Pragmatismus. Im Klartext: Behandelt wird, wer die höchste Überlebenswahrscheinlichkeit hat und noch am meisten Lebensjahre vor sich. «Dabei gilt das Prinzip der Nutzenmaximierung für die grösste Zahl von Menschen.»
In Mailand sind die Empfehlungen offenbar schon Realität. Corona-Patienten, die über 70 Jahre alt sind und Vorerkrankungen haben, werden schon gar nicht mehr aufgenommen, berichtet eine Ärztin dem «Spiegel». Wer in diesem Alter herz- oder lungenkrank sei oder ein Tumorleiden in fortgeschrittenem Stadium hat und beatmet werden müsste, komme nicht mehr an die entsprechenden Geräte.
«Wir müssen als Ärzte unter diesen Bedingungen plötzlich über Leben oder Tod entscheiden. Das ist furchtbar», sagt die Ärztin aus Rom. «Normalerweise müssen wir alles tun, um Menschen zu reanimieren. Aber jetzt werden die Kapazitäten knapp.»
Schweiz verfährt ähnlich wie Italien
Was in Italien passiert, droht auch der Schweiz. Greifen die Vorsichtsmassnahmen nicht, können auch hier die Intensivbetten knapp werden. Orientierung bieten in der Schweiz medizin-ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
Und da klingt es ähnlich wie bei den Italienern. Kriterien, nach welchen Patienten in Krisenzeiten behandelt oder nicht behandelt werden, müssen begründet und transparent sein. Alter, Geschlecht, Wohnkanton, Versicherungsstatus, Nationalität oder Religionszugehörigkeit dürfen keine Rolle spielen. Doch reichen die Kapazitäten nicht für alle, hätten diejenigen Patienten die höchste Priorität, «deren Prognose mit Intensivbehandlung gut, ohne diese aber ungünstig ist». (kin)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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