Was mache ich, wenn ein Freund an Verschwörungen glaubt?
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Live-Diskussion auf Blick TV:Was mache ich, wenn ein Freund an Verschwörungen glaubt?

Irre Corona-Proteste ziehen immer mehr Menschen an
Was mache ich, wenn ein Freund an Verschwörungen glaubt?

In vier Schweizer Städten gingen am Samstag Menschen gegen die Corona-Massnahmen auf die Strasse. Wer sind sie und was wollen sie? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 11.05.2020 um 23:24 Uhr
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Aktualisiert: 23.02.2021 um 12:09 Uhr
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Dieser Teilnehmer ist offenbar Impfgegner – er demonstrierte am Samstag in Bern mit Verschwörungsideologen, Rechten, Linken und Esoterikern.
Foto: DUKAS
Fabienne Kinzelmann

Ohne Bill Gates gäbe es diesen Artikel nicht. Heute Morgen hat er mich angerufen. Erst dachte ich an einen Scherz, aber dann versprach mir der mächtigste Mann der Welt richtig viel Geld, wenn ich diesen Artikel genau so schreibe, wie er möchte. Den Scheck dafür schickte er per Eilkurier.

Glauben Sie nicht? Gut so.

Dann sind Sie wohl weniger anfällig für eine Bewegung, die sich gerade aus Protest gegen die Corona-Massnahmen der Regierungen in Deutschland, der Schweiz, aber auch in Grossbritannien und den USA bildet.

Trotz Demonstrationsverbot und Covid-19-Verordnung, die Versammlungen verbietet und einen Abstand von zwei Metern zwischen Personen fordert, versammelten sich am Samstag in Zürich, Bern, St. Gallen und Basel einige Hundert Lockdown-Gegner zu unbewilligten Demonstrationen.

Was steckt hinter den Protesten? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wo gibt es Demonstrationen?

Die USA machten den Anfang. Hier protestierten schon Mitte April Menschen, unter anderem in Ohio, Michigan, North Carolina und Kentucky gegen die Einschränkungen – ohne die Abstandsregeln einzuhalten.

Mit den sinkenden Infektionszahlen wachsen auch Proteste in vielen europäischen Ländern, am grössten sind sie bislang unter dem Namen «Hygienedemos» in Deutschland. In Stuttgart, seit den Demos 2010/11 gegen das Bahnhofsprojekt S21 als Protest-Hochburg bekannt, versammelten sich am Samstag 10'000 Menschen. Auch in Zürich und Bern gingen Menschen auf die Strasse.

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Warum gibt es in der Romandie keine Demonstrationen?

In der Romandie blieben Demonstrationen aus – ebenso wie etwa in Frankreich, Spanien oder Italien. Eine Erklärung könnte lauten, dass in schwer betroffenen Gegenden fast jeder Freunde oder Eltern hat, die an Covid-19 erkrankt oder sogar verstorben sind.

Wer sind die Demonstranten?

Eine wüste Sammlung von Verschwörungsideologen, Impfgegnern, Rechten, Linken, Esoterikern, Evangelikalen und besorgten Bürgern. Ihr Ziel ist es, die Corona-Massnahmen schnell zu lockern. Die Motive sind unterschiedlich.

In den USA trugen die Teilnehmer teilweise Waffen, schwenkten die als rassistisches Symbol geltende Südstaatenflagge und gaben sich als radikale Unterstützer von US-Präsident Donald Trump (73) zu erkennen. In Deutschland und der Schweiz trugen Demonstranten etwa Schilder mit Aussagen wie «5G kills», «Impfterrorismus» oder «aber Kill Bill». Viele eint der krude Glaube an eine weltweite Verschwörung: Microsoft-Gründer Bill Gates (64) und seine Ehefrau Melinda (55) hätten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) «gekauft», um Zwangsimpfungen zu verteilen, mit denen sie die Weltbevölkerung reduzieren und ganz nebenher auch noch Profit scheffeln wollen. Dieses Gaga-Gerücht befeuert unter anderem der Aktivist Ken Jebsen in einem Video auf Youtube.

«Ich will für mich selbst entscheiden, was ich richtig und was ich falsch finde», sagte etwa eine jüngere Demonstrantin am Samstag in Zürich zu Blick TV. Er nehme teil, um zu sehen, wer wie er nicht an den «Propaganda-Mainstream» glaube, sagt ein junger Mann. «Ich glaube einfach nicht dran», sagt ein anderer Teilnehmer über das Coronavirus. Das ganze sei ein «Chasperlitheater», auf das der Bundesrat «hereingefallen» sei.

Protestieren da nur völlige Spinner?

Nein – die Proteste ziehen auch Menschen an, die besorgt um ihre Grundrechte sind oder ernsthafte wirtschaftliche Sorge haben. Diese nehmen aber offenbar bewusst in Kauf, Teil eines wüsten Protestmobs zu sein.

In Deutschland etwa demonstrierte der umstrittene Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (55) ohne Maske gemeinsam mit Björn Höcke von der AfD. In der Schweiz vertritt der Kantonsrat Urs Hans (68) die Meinung, Covid-19 sei eine «hartnäckige Grippe, welche medial gekrönt wurde». Er spricht von «Panikmache». Im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» behauptet der Grüne, der Bundesrat agiere bloss noch «als Statthalter für die Schweiz», und Genf werde als Sitz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) «zur Hauptstadt».

In beiden Fällen haben die Politiker keinen Rückhalt ihrer Partei. Der deutsche FDP-Parteichef Christian Linder (41) twitterte, ihm «fehle das Verständnis» für Kemmerichs Aktion. Im Kanton Zürich distanzierten sich Geschäftsleitung und Fraktionsleitung der Grünen von den Aussagen von Urs Hans mit folgenden Worten: «Seine abenteuerlichen Thesen zur Pandemie und zur Behandlung von Covid-19 entbehren jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Damit hat sich Urs Hans von grünen Werten entfernt.»

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Wie gefährlich ist die Bewegung?

Sehr. Zum einen, weil die Protestierenden die Abstandsregeln nicht einhalten und keine Schutzmasken tragen. Die Massenansammlungen könnten so die Bemühungen der letzten Wochen zunichtemachen – das Coronavirus breitete sich in Europa anhand von einzelnen Infektionsherden wie Gottesdiensten oder dem Partyort Ischgl rasend schnell aus. Südkorea, das die Krise eigentlich gut im Griff hatte, ist gerade in heller Aufregung, weil ein 29-jähriger Infizierter feiern war und so neue Ansteckungen verursacht hat.

Zum anderen ist die Bewegung gefährlich, weil sich rassistisches, antisemitisches und anti-demokratisches Gedankengut in ein Netz aus Lügen, Halbwahrheiten und tatsächlichen Fakten mischt und verbreitet. Pseudowissenschaftliche Ideologien, wie sie etwa von Ken Jebsen verbreitet werden, und bekannte Prominente wie der umstrittene Söhne-Mannheims-Frontmann Xavier Naidoo oder der TV-Koch Attila Hildmann, die sich dazu bekennen, sprechen auch Menschen an, die sonst vermutlich nicht auf die Strasse gehen würden.

Und hat Bill Gates jetzt die WHO gekauft?

Nein. Die WHO finanziert sich zwar zu 80 Prozent aus Spenden von privaten Geldgebern, Regierungen und Stiftungen – Gates steuert mit seiner Stiftung aber nur einen Teil der freiwilligen Spenden bei.

Warum haben Verschwörungsideologien gerade so Zulauf?

Eine mögliche Erklärung ist, dass viele Menschen mit dem Kontrollverlust durch die Pandemie nicht zurechtkommen. Die Unsicherheit, die viele spüren, kann dazu führen, dass sie anfälliger werden für Verschwörungsideologen, die gekonnt Zweifel an Gewissheiten säen.

Jede Krise, jedes einschneidende gesellschaftliche Ereignis bringt immer auch eine Vielzahl an Berichten und Meinungen mit sich – Menschen, die einen Hang zu Verschwörungsideologien haben, differenzieren weniger stark zwischen Laien und Experten. Sie glauben, was sie etwa in einem Video im Internet sehen.

Das Problem: Youtube möchte, dass Nutzer möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen. Deswegen schlägt der Algorithmus jemandem, der etwa nach «Impfkritik» gesucht hat und ein Video dazu gesehen hat, danach weitere Videos zu dem Thema vor. Das kann für Verschwörungsideologien anfällige Nutzer weiter in die Ideologie hineinziehen.

Wie erkenne ich eine Verschwörungsideologie?

Das ist gar nicht so leicht, weil oft Lügen, Halbwahrheiten und Fakten vermischt werden. Als Allererstes kann man die Quelle prüfen: Wo ist etwas veröffentlicht? Eine seriöse Website hat beispielsweise ein Impressum, wo ich den Verfasser beziehungsweise den Verantwortlichen erkennen kann.

Zudem könne schon die Art der Erklärung stutzig machen, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty zu Jetzt.de: «In den Videos wird viel schwarz-weiss erklärt, mit Gut versus Böse argumentiert. Noch dazu werden Schlussfolgerungen oft viel zu sehr verallgemeinert.»

Was mache ich, wenn ein Verwandter oder ein Freund mit Verschwörungsideologien anfängt?

Mit Zweiflern im engen Umfeld kann man vielleicht noch diskutieren. Seriöse Medien haben zum Beispiel Aussagen von Ken Jebsen nach journalistischen Standards überprüft. Gute Faktenchecks gibt es etwa von «t-online» oder dem ZDF.

Wichtig: Nicht die eigene Psychohygiene kaputt machen lassen! Es ist mühsam, mit Menschen zu diskutieren, die sich verrannt haben. Die lassen sich oft von wissenschaftlichen Fakten nicht mehr überzeugen – und radikalisieren sich durch den Gegenwind nur weiter. Das nennt sich auch «Bumerang Effekt».

Soll ich mich damit abfinden, wenn mein Verwandter oder Freund rumspinnt?

Nein. Abgrenzung kann zu einem Teufelskreis führen – wenn die Person etwa soziale Kontakte verliert, kann es sein, dass sie noch stärker an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird und sich noch weiter in ihrem Verschwörungsglauben radikalisiert.

Experten raten zum Dialog auf Augenhöhe. Möglicherweise stecken berechtigte Ängst oder Sorgen hinter der Zuwendung zu wilden Theorien. In Corona-Zeiten ist das vielleicht eine versteckte Angst vor dem Virus, Verunsicherung, die Auswirkungen des (gefühlten) Kontrollverlustes oder wirtschaftliche Sorgen. Auf diese kann man eingehen und die Person ernst nehmen. Wichtig ist, sie nicht herablassend zu behandeln. Gleichzeitig muss man sich aber von den ideologischen Inhalten klar distanzieren und die extremistischen, antisemitischen und rassistischen Elemente einer Verschwörungsideologie klar zu benennen und zu verurteilen.

Ist der Verwandte oder Freund gar nicht mehr empfänglich, sollte man auf Anzeichen von Verwirrung oder Wahn achten und nach Möglichkeit einen Experten aufsuchen.

Aber: Gibt es nicht ein Recht auf Protest?

Ja. Das Recht auf Protest ist von der Versammlungsfreiheit gedeckt – allerdings gilt in der Schweiz wegen der «ausserordentlichen Lage» noch mindestens bis Anfang Juni ein Versammlungsverbot. An der zeitweiligen Aussetzung von Grundrechten gibt es sehr berechtigte Kritik.

Möchte ein Freund oder ein Verwandter trotz des Versammlungsverbots an einer (illegalen) Demo teilnehmen, sollte er unbedingt die Hygiene- und Abstandsregeln einhalten: Hände waschen, möglichst nicht mit den Öffentlichen zum Versammlungsort fahren, zwei Meter Abstand zu den anderen Teilnehmern einhalten und möglichst eine Schutzmaske tragen. Denn auch er selbst kann ja – ohne es zu wissen – mit dem Coronavirus infiziert sein und so möglicherweise andere gefährden.

Auch die Klimajugend protestierte in den vergangenen Wochen einige Male ohne Bewilligung. Die Teilnehmer achten bei ihren Demonstrationen aber penibel auf die Einhaltung der Vorgaben.


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