Vor dem Parlamentsgebäude in Belgrad haben Tausende Menschen am Dienstagabend gegen neue Beschränkungen in der Corona-Pandemie protestiert. In der Nacht zum Mittwoch kam es dabei zu Ausschreitungen und Zusammenstössen mit der Polizei, wie örtliche Medien berichteten.
«Es waren etwa 5000 Demonstranten», berichtet «Blic»-Journalist Ivan Jovanovic (38), der den Einsatz von drei Reportern und drei Fotografen für die serbische Zeitung koordiniert hat. «Der Hauptgrund für den Protest waren die Ankündigung neuer Corona-Massnahmen. Das frustriert viele Serben, weil wir schon zwei Monate strikten Lockdown hinter uns haben.»
Präsident Aleksandar Vucic (50) hatte nur wenige Stunden zuvor im Fernsehen angesichts des Infektionsgeschehens eine neue Ausgangssperre für das kommende Wochenende angekündigt. Die Lage im Land sei ernst, betonte der Präsident in seiner Ansprache. Besonders die Hauptstadt sei stark betroffen. «Alle Krankenhäuser in Belgrad sind fast voll», sagte Vucic weiter. Daher werde von Freitag bis Montag ein Ausgehverbot verhängt. Zuletzt hatte es im Mai eine Ausgangssperre gegeben. Ab Mittwoch seien zudem Treffen von mehr als fünf Menschen verboten – sowohl drinnen wie draussen.
Worum ging es bei dem Protest wirklich?
«Am Anfang war der Protest friedlich», sagt Journalist Jovanovic zu BLICK. «Erst gewaltbereite Protestierende ins Parlamentsgebäude eindrangen, eskalierte die Situation.» Unter den Beteiligten sei auch der rechtsextreme Ex-Abgeordnete Srdjan Nogo (Dveri) gewesen. Er ist laut «Blic» bekannt für die Verbreitung ultrarechter Ansichten, Verschwörungstheorien über Impfstoffe, Migranten und das 5G-Netzwerk – aber auch für offene Aufrufe zur Gewalt. Aus disziplinarischen Gründen wurde der Politiker im Februar 2019 aus dem Parlament geworfen.
Nachdem die Gruppe um Nogo versucht hatte, das Parlamentsgebäude zu stürmen, setzte die Polizei grossflächig Tränengas ein. «Blic» berichtet, aus der Gruppe um Nogo habe es Rufe wie «Lasst uns den Kosovo nicht aufgeben» und «Oh, Kosovo, Kosovo» gegeben.
Ging es bei dem Protest wirklich nur um die neuen Corona-Massnahmen? Daran haben Beobachter wie Jovanovic Zweifel. «Es ist wirklich schwer zu verstehen und vermutlich eine Mischung aus politischen und wirtschaftlichen Gründen.» Er habe das Gefühl, dass der eigentlich friedliche Protest unterwandert worden sei. «Jemand versuchte, die Corona-Wut gegen Vucic zu drehen.» Am Freitag wird in Brüssel der Serbien-Kosovo-Dialog wieder aufgenommen, der serbische Präsident Aleksandar Vucic will sich am 12. Juli mit Kosovos Ministerpräsident Avdullah Hoti treffen.
Ausgangssperre zurückgenommen
Nach den Unruhen beruhigte sich die Lage am Mittwochmorgen wieder. Doch ob es friedlich bleibt, ist unklar. Zwei Oppositionsparteien haben bereits angekündigt, am Abend erneut zu protestieren.
Dem wollte Serbiens Präsident wohl zuvorkommen. Vucic nahm am Mittwoch die angekündigte Ausgangssperre zurück. «Es wird sicherlich neue Massnahmen für Belgrad geben, aber keine Polizeistunde», sagte er. Die Einzelheiten werde der Krisenstab der Regierung am Donnerstag bekanntgeben.
Corona-Zahlen in Serbien steigen
Die Corona-Fälle in dem Balkanland waren rund acht Wochen nach den ersten Lockerungen der Anti-Corona-Massnahmen deutlich angestiegen. Serbien hatte am Dienstag 13 neue Todesfälle infolge von Covid-19-Erkrankungen gemeldet – der höchste Tageswert seit Beginn der Pandemie. Zudem wurden 299 neue Infektionen mit dem Coronavirus registriert.
In der vergangenen Woche verzeichnete das Land täglich zwischen rund 250 und 350 neue Fälle. Bis zum Dienstag gab es in Serbien über 16'000 nachgewiesene Infektionen mit dem Coronavirus. Davon gelten knapp 3000 Fälle als aktiv. 330 Menschen starben bisher in Verbindung mit der Lungenkrankheit Covid-19.
Der Regierung von Präsident Vucic wird vorgeworfen, die Zahlen massiv geschönt zu haben. Insbesondere im Vorfeld der Parlamentswahl am 21. Juni sollen die Infektionszahlen niedriger angegeben worden sein, als sie tatsächlich waren.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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