Wie schützen wir unsere Privatsphäre am besten? Noah Dyer (37) hat eine radikale Antwort: gar nicht! Der Politiker, der im US-Bundesstaat Arizona als Gouverneur kandidierte, will sie sogar ganz abschaffen. Dafür geht er mit gutem Beispiel voran und legt alles auf den Tisch: Auf seiner Website hat er eine Rubrik geschaffen, wo er freizügig alles auflistet, was im Wahlkampf gegen ihn verwendet werden könnte – und zwar restlos alles.
«Noah hatte tiefe und oberflächliche sexuelle Erfahrung mit allen möglichen Frauen», steht da. «Er hat mit offenen Beziehungen experimentiert, Gruppensex gehabt und mit verheirateten Frauen geschlafen.» Dyer habe intime Bilder bekommen und verschickt, gelegentlich habe er auch während des Sex Videoaufnahmen gemacht. Er sei aber stets ehrlich mit seinen Partnerinnen gewesen.
Noah Dyer beschränkt sich aber nicht auf Bettgeschichten: Er sei mit fast 100'000 Dollar verschuldet. «Mit dem Rückzahlungsplan dauert es ungefähr 15 Jahre, bis die Schulden zurückgezahlt sind.» Während der Rezession sei er zeitweise obdachlos gewesen und habe einmal ein Haus im Leerverkauf verscherbelt.
Verhindern, dass Gegenkandidaten Dreck aufwühlen können
Die Idee hinter dem Privatsphären-Striptease: Ein grosser Teil des Wahlkampfs bestehe daraus, «Dreck beim Gegenkandidaten aufzuwühlen», heisst es auf Dyers Website. Doch Skandale, die während des Wahlkampfs herauskommen, würden von den wahren Inhalten ablenken. Das wolle er verhindern.
Bereits vor seiner Kandidatur machte Noah Dyer von sich reden: Er wollte sich ein Jahr lang rund um die Uhr filmen lassen und alles im Internet übertragen. Auch unter der Dusche, auf dem WC und ja – auch beim Sex. Doch von den benötigten 300'000 Dollar, die das Projekt mit seinen acht Vollzeitbeschäftigten gekostet hätte, kamen nur gerade 1000 Dollar zusammen.
Auf der Kampagnen-Seite begründet Dyer, warum er die Privatsphäre abschaffen will: «Wenn alle Zugang zu den gleichen Informationen hätten, wäre die Gesellschaft gerechter.» Grosse Unternehmen hätten mit ihren Datenmonopolen zu viel Macht. Und zweitens: Wenn jeder alles über jeden weiss, muss einem nichts mehr peinlich sein.
Dass die Sache nicht so einfach ist, wird in einem Porträt im Magazin «The Atlantic» klar. Ohne zu zögern, händigte Dyer dem Journalisten, der ihn porträtierte, sein E-Mail-Passwort aus. Dieser schreibt danach, dass er sich mit einem mulmigen Gefühl durch die privaten Nachrichten von Dyer klickte. Grund: Darunter waren auch Nacktbilder verheirateter Frauen, die diese im Vertrauen an Dyer gesendet hatten. Das Fazit des Autors: Man hat eine Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen, auch wenn man «nichts zu verbergen» hat.
Die Offenherzigkeit von Noah Dyer nützte ihm bei den Wählern übrigens nichts: Am Mittwoch gab er bekannt, dass er aufgrund fehlender Unterstützung seine Kandidatur zurückzieht.