Die im September 2015 vereinbarte Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten sei keine Option. Vielmehr sei es eine rechtlich verbindliche Entscheidung, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos.
Es habe «genug Verzögerungen und Diskussionen» gegeben. «Jetzt ist die Zeit zum Handeln», begründete der EU-Kommissar den Start der Vertragsverletzungsverfahren. Ein solches Verfahren dauert meist mehrere Jahre und kann mit einer Geldbusse enden.
Bisher haben Polen und Ungarn keinen einzigen Flüchtling aus dem Umverteilungsprogramm aufgenommen. Tschechien hat zwar zwölf Asylbewerber aus Griechenland einreisen lassen, hat seit einem Jahr aber keine weiteren Flüchtlinge übernommen.
Dem damaligen Beschluss zufolge sollen jedoch insgesamt 160'000 Menschen aus Italien und Griechenland bis September 2017 nach einem Quotensystem auf die anderen EU-Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Bisher wurden nur gerade 20'869 Menschen umverteilt.
Die Schweiz, die sich via Dublin-Abkommen teilweise an der EU-Flüchtlingspolitik beteiligt, übernimmt insgesamt freiwillig 1500 Asylsuchende. Bisher hat sie laut einer Statistik der EU-Kommission 649 Flüchtlinge aus Italien und 344 aus Griechenland übernommen.
Gemäss Avramopoulos kann die Umverteilung nur funktionieren, «wenn alle Mitgliedstaaten ihren fairen Anteil übernehmen». Ausnahmen könne es nicht geben. «Bei Europa geht es nicht nur darum, Gelder zu erhalten oder die Sicherheit zu garantieren», fügte er an. Es gehe auch um Solidarität und politische Verantwortung.
Damit spielt der EU-Migrationskommissar auf die Kohäsionsgelder an, welche die ärmeren EU-Staaten - und damit in erster Linie die ehemalige Ostblockstaaten - für die Entwicklung ihrer Wirtschaft erhalten.
Die ungarische Regierung kündigte Widerstand gegen den Beschluss der EU-Kommission an. Budapest betrachte die Eröffnung von Vertragsverletzungsverfahren in der Frage «als Erpressung und uneuropäisch», sagte der ungarische Aussenminister Peter Szijjarto am Dienstagvormittag vor dem Parlament. Seine Regierung werde «niemandem erlauben, illegal nach Ungarn einzureisen».
Auch Tschechien beharrt darauf, keine Flüchtlinge mehr auf Grundlage von EU-Quoten aufzunehmen. Das sagte Regierungschef Bohuslav Sobotka der Nachrichtenagentur CTK. «Wir sind als Regierung fest entschlossen, an der Flüchtlingsaufteilung und dem System der verpflichtenden Quoten nicht teilzunehmen», sagte er.
Ähnlich reagierte auch Polen. «Die Entscheidung der Europäischen Kommission kann uns von der Ausarbeitung des notwendigen politischen Kompromisses bei der Flüchtlingspolitik entfernen», sagte Polens Vize-Aussenminister Konrad Szymanski nach Angaben der Agentur PAP. Die Massnahmen drohten die Teilung innerhalb der EU zu vertiefen. Laut Szymanski überlege sich Warschau, gegen den Entscheid er Brüsseler Behörde zu klagen.
Die Slowakei lehnt die verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen zwar ebenfalls ab und hat wie Ungarn dagegen vor dem EU-Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg geklagt. Dank der jüngsten Aufnahme einer kleinen Zahl von Asylsuchenden ist Bratislava jedoch derzeit nicht von einem ähnlichen Verfahren bedroht.
Lobend erwähnte Avramopoulos hingegen die Regierung in Wien. Auch Österreich nahm bisher keinen Asylbewerber auf. Das Land hatte bis März dieses Jahres wegen eigener hoher Flüchtlingszahlen zunächst eine Ausnahmeregelung erwirkt. Wien hat nun aber zugesagt, Flüchtlinge aufzunehmen.
Tschechiens Ex-Präsident Vaclav Klaus forderte wegen des Streits um EU-Flüchtlingsquoten nun sogar einen Austritt seines Landes aus der Europäischen Union. «Wir protestieren grundsätzlich und entschieden gegen die Entscheidung der EU, ein Verfahren gegen die Tschechische Republik wegen eines Nicht-Respektierens der Aufnahme von Migranten aufgrund von Brüssel diktierter Quoten zu eröffnen», erklärte Klaus in einer Verlautbarung für tschechische Medien.
Tschechien dürfe nicht gezwungen werden, eine multikulturelle Gesellschaft zu werden, kritisierte der Ex-Präsident und lehnte finanzielle Sanktionen der EU als Druckmittel ab. Tschechien brauche und wolle gar keine EU-Fördergelder, behauptete er und verlangte eine radikale Entscheidung: «Aus dem allen ergibt sich als einziger möglicher und notwendiger Schluss: Es ist die Zeit gekommen, den Austritt unseres Landes aus der Europäischen Union vorzubereiten.»
Klaus hatte schon während seiner Amtszeit als Staatsoberhaupt (2003-2013) immer wieder die EU kritisiert.