Ärzte und Krankenschwestern sind auf Lesbos im Dauer-Krisenmodus. Noch vergangene Woche grassierte eine Meningitis-Welle im Flüchtlingscamp Moria, nach dem ersten Infektionsfall auf der Insel wächst die Angst vor dem Coronavirus. Die Irin Elena Lydon (56) arbeitet als freiwillige Krankenschwester mit den Geflüchteten – und weiss in diesen Tagen nicht, wo ihr der Kopf steht.
Hat Corona das Flüchtlingscamp schon erreicht?
Wir haben zwei unbestätigte Fälle.
Wie viel Panik habt ihr Ärzte und Krankenschwestern?
Das Gesundheitssystem ist katastrophal. Die Lebensbedingungen sind schlecht und die Menschen sind zu lange da. Die Leute sind immer krank. Wir behandeln so viele Menschen, aber niemand wird gesund – stattdessen bekommen sie eine Krankheit nach der anderen. Corona wäre ein Desaster.
Wie bereitet ihr euch auf Corona vor?
Es gibt jetzt einen Haufen Schilder, die den Menschen hier sagen, wie sie ihre Hände richtig waschen. Dabei gibt es nicht mal genügend Wasser oder Seife. Gesichtsmasken werden für zwei Euro verkauft. Das ist viel Geld für die Geflüchteten – sie bekommen nur 90 Euro im Monat. Unbegleitete Kinder bekommen gar nichts.
In Moria leben 1000 unbegleitete Minderjährige. Wie ist deren Situation?
Normalerweise werden sie in eine bewachte Zone gebracht – doch die war schon überfüllt, als ich hier ankam. Also schlafen viele Kinder draussen im Dschungel, wie wir zu dem Gelände um Moria herum sagen. Dort werden sie ausgeraubt, geschlagen und vergewaltigt. Bildung bekommen sie nur, wenn eine Hilfsorganisation sich darum kümmert.
Woher bekommen die Kinder Essen?
Dafür dürfen sie nach Moria rein und fürs Essen anstehen. Sie bekommen ein kleines Croissant am Morgen, Reis und Bohnen zum Mittag und ein Ei zum Abendessen. Die Kinder bekommen nur rund 800 Kalorien am Tag. Was ich seit Monaten sehe: Sie verlieren dramatisch an Gewicht und der Calciummangel führt zu Zahnproblemen.
Sie haben auch in anderen Flüchtlingslagern gearbeitet.
Ich finde das schockierendste, dass Moria von der EU finanziert ist. Das Lager in Calais, wo ich auch gearbeitet habe, war illegal. Aber nach Lesbos fliessen europäische Steuergelder. Ich habe aber das Gefühl, das Geld erreicht die Menschen gar nicht.
Was schlagen Sie vor?
Europa muss sich öffnen. Jeder hier in Moria muss woanders untergebracht werden. Und die Kinder müssen sofort aufs Festland und in andere Länder gebracht werden. Die kommen ja aus wirklich schlimmen Gründen und sind traumatisiert. Die werden eh nicht mehr nach Afghanistan oder Syrien zurückgehen – wofür denn auch?