ETH-Professor erklärt den Wiederaufbau der abgebrannten Kathedrale
Notre-Dame bekommt einen Eisenhut

Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist der Brand der Notre-Dame in Paris auf die Bauarbeiten auf dem Dach zurückzuführen. ETH-Professor Stefan Holzer erklärt, wie die Kathedrale wieder aufgebaut wird.
Publiziert: 16.04.2019 um 13:01 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2019 um 14:02 Uhr
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Auf dem Dach der Kathedrale thront ein Baugerüst mit gegen 500'000 Eisenstangen.
Foto: Getty
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Guido FelderAusland-Redaktor

Am Tag nach dem grossen Feuer: Das historische Holzdach der Notre-Dame in Paris ist komplett zerstört, die beiden markanten Türme sowie die Fassade hingegen konnten vor dem Feuer bewahrt werden. Auch das massive Baugerüst thront immer noch über dem Gotteshaus.

Inzwischen steht mit grosser Sicherheit fest: Es war kein Anschlag, wie zuerst zahlreiche Pariser befürchtet hatten. Viel eher orten die Behörden die Ursache in der gigantischen Baustelle auf dem Dach der Kirche.

Im Vordergrund steht ein Funke von Schweissarbeiten. Er könnte einen Schwelbrand entfacht haben, der sich in ein offenes Feuer verwandelte. Die Ermittler haben angekündigt, dass sie die Bauarbeiter, die bei Brandausbruch schon Feierabend hatten, vernehmen werden. Erste Befragungen fanden bereits in der Nacht auf Dienstag statt.

Schwierige Bauarbeiten auf dem Dach

Die Renovationsarbeiten hatten vor einem Jahr bereits begonnen und sollten weitere zehn Jahre dauern. Kosten: rund 150 Millionen Euro, von denen 100 Millionen durch Spenden gedeckt werden sollten. Die Umweltverschmutzung hatte der alten Kirche dermassen zugesetzt, dass sie schon in den 1990er Jahren umfassend renoviert werden musste.

Allein für den schlanken Mittelturm, der komplett zerstört wurde, beliefen sich die Baukosten auf 11 Millionen Euro. Weil die Bleiplatten gerissen oder sonst beschädigt waren, drang Wasser in die Konstruktion ein und bedrohte den Dachstuhl des gotischen Meisterwerks.

Angegriffen war aber auch das Dach: Der Stein der Strebebögen ist von Wetter und Luftverschmutzung angefressen, zwei Seitentürmchen waren notfallmässig stabilisiert worden. Steinbrocken hatten sich gelöst und waren auf die Vordächer geprallt.

500 Tonnen schweres Gerüst

Um die Turmspitze mit dem Kreuz und dem Hahn auf 95 Metern Höhe zu erreichen, musste ein monströses Gerüst errichtet werden. Allein die Montage der gegen 500’000 Eisenstangen, die ein Gesamtgewicht von 500 Tonnen aufweisen, dauerte ganze neun Monate. Es war eine «echte technische Herausforderung», wie Bauleiter Franck Pagnussat damals sagte.

Die ganzen Flickarbeiten sind nun nicht mehr nötig. Jetzt muss das historische Gotteshaus fast neu aufgebaut werden.

Jetzt braucht es ein feuersicheres Dach

Stefan Holzer (56), Professor für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte an der ETH in Zürich, ist schockiert. «Es ist sehr traurig, dass ein so wertvolles Dach aus dem 13. Jahrhundert zerstört wurde.» Als Erstes müsse man die Ruinen sichern und ein Notdach aufbauen, damit keine weiteren Schäden im Innern der Kirche entstehen können. Alles, was unterhalb des Gewölbes liegt, könne man wiederherstellen, sofern es nicht komplett zerstört worden ist, sagt Holzer.

Der Fachmann ist überzeugt, dass man anstelle eines Holzdachstuhls eine feuersichere Dachkonstruktion bauen werde, so wie man es bei allen andern abgebrannten Kirchen gemacht habe. Ähnliche Brände hat es in Frankreich schon in den Kathedralen von Chartres (1836) und Reims (1. Weltkrieg) gegeben, wo die Dachkonstruktion heute aus Gusseisen beziehungsweise Beton bestehe.

Touristen werden nichts merken

Die Erfahrung zeige, dass solche Brände meistens von Baustellen ausgingen. Holzer: «In Chartres hatte ein Bauarbeiter auf dem Dach sein Mittagessen über einem Feuer gekocht…» In Reims hingegen wurde die Kirche von der deutschen Artillerie zerstört.

Der Wiederaufbau der Notre-Dame werde etliche Jahre dauern, meint Stefan Holzer. Für die Fachleute werde die Kathedrale ohne das Originaldach nicht mehr das Gleiche sein. «Doch die Kirchgänger und Touristen», so ist Holzer überzeugt, «werden keinen Unterschied feststellen können».

Alle aktuellen Informationen rund um den Brand im Notre-Dame gibt es im Ticker.

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