Die sechs wichtigsten Fragen zum Tabubruch in der Genforschung
Züchten Chinesen ein Frankenstein-Baby?

Chinesische Forscher haben menschliche Embryonen genetisch manipuliert und brechen damit ein Tabu. Kritiker fordern den Stopp der ethisch heiklen Experimente.
Publiziert: 25.04.2015 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:27 Uhr
Ungeheure Macht: Chinesische Forscher haben frisch gezeugte Embryos im Labor genetisch verändert.
Von Adrian Meyer

1. Ein heisses Gerücht in der Genforschung hat sich diese Woche bestätigt. Was ist passiert?
Ein chinesisches Forscherteam um Junjiu Huang hat im Labor zum ersten Mal gezielt die Gene menschlicher Embryos manipuliert – und damit die Wissenschaft schockiert. Die Forscher versuchten, in frisch befruchteten Eizellen ein mutiertes Gen zu korrigieren, das die Blutkrankheit Beta-Thalassämie verursacht: indem sie es mit einem intakten Gen ersetzten. Damit wäre ein Kind und alle seine Nachfahren von der Erbkrankheit befreit.

2. Das klingt nach einer guten Sache. Warum ist es ein Tabubruch?
Es ist eine Zeitenwende in der Medizin: Der Mensch kann nun selbst über seine Evolution bestimmen. Sogenannte Designerbabys wären möglich. Damit überschritten die Forscher eine rote Linie. Kürzlich forderten namhafte Genforscher ein weltweites Moratorium für diese Versuche. Sie halten sie für ethisch inakzeptabel. Die Technik sei unausgereift, fehlerhaft und berge zu viele Risiken. Für manche steht gar die Zukunft der menschlichen Spezies auf dem Spiel.

3. Wie funktioniert die Technik?
Möglich machte es das neuartige und relativ einfache CRISPR-Cas9-Verfahren: eine Art Textverarbeitungsprogramm für Gene. Es entfernt, überschreibt oder korrigiert Buchstaben und ganze Sätze in unserem Erbgut. Bei Tieren und Pflanzen wird es bereits häufig eingesetzt.

4. Züchten die Chinesen genmanipulierte Babys?
Noch nicht. Die Forscher benutzten Embryos, die nicht lebensfähig waren. Und ihr Experiment war ein Misserfolg: Nur bei vier von 54 Embryos wurde das mutierte Gen repariert. Für normale Embryos sind laut Forscher Huang fast 100 Prozent nötig. Die Technik ist noch nicht reif. Darum brachen die Forscher die Versuche vorerst ab. Was be­unruhigt: Das Erbgut wurde durch den Eingriff ungewollt auch an anderen Stellen verändert. Die Mutationen könnten gefährlich sein und würden weitervererbt. Statt eines gesunden Designerbabys entstünde ein Frankenstein-Monster.

5. Warum die Alarmstimmung? Obwohl es möglich ist, klont ja auch niemand Menschen.
Der umstrittene Versuch zeigt, wie rasant sich die Gentechnik entwickelt hat. Und dass eine ethische Debatte über Eingriffe ins Erbgut dringend nötig ist. Als Klonen möglich wurde, war das Unbehagen gross. Heute ist die Technologie re­guliert. Und: Niemand klont Menschen. Bei der Gentherapie eine Einigung zu finden, wird viel schwieriger. Im Gegensatz zum Klonen lockt sie mit dem Versprechen, Erbkrankheiten in Zukunft auszulöschen. Wir wären nicht mehr dem Zufall der Natur ausgeliefert. Eine ungeheure Macht.

6. Was hat das mit der eidgenössischen Abstimmung zur Präimplanta­tionsdiagnostik (PID) am 14. Juni zu tun?
Ausser dass bei beiden Methoden die Eizelle im Reagenzglas befruchtet wird: nichts. Die Chinesen veränderten gezielt das Erbgut von Embryos. Bei der PID will man feststellen, ob ein Embryo ein mutiertes Gen vererbt bekam, das krank macht. Ist dies der Fall, wird er mit einem Embryo ohne Mutationen ersetzt. Dieser wird in die Gebärmutter eingepflanzt. In der Schweiz ist das bisher noch verboten.

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