Die Welt schaut mit Entsetzen auf die Flammenhölle in Brasilien – und auf Tropen-Trump Jair Bolsonaro (64). Der brasilianische Präsident macht Umweltschützer dafür verantwortlich, wenn in seinem Land Millionen Bäume in Flammen stehen. Doch der Geschäftsführer von WWF Schweiz, Thomas Vellacott (48), sagt zu BLICK: «Man muss davon ausgehen, dass ein Grossteil dieser Brände zu Rodungszwecken gelegt werden.»
Als Reaktion auf die verstärkte Rodung legten Deutschland und Norwegen die millionenschwere Förderung für Waldschutz- und Biodiversitätsprojekte in dem Land auf Eis. Irland droht mit einer Blockade des EU-Handelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten.
Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (41) ist klar, dass es sich beim Amazonas-Inferno um eine «internationale Krise» handelt. «Unser Haus brennt», twitterte Macron. Er will den Waldbrand in Brasilien beim G-7-Gipfel in Biarritz (F) zum Thema machen, der am Samstag beginnt.
So gross ist das Ausmass der Katastrophe
Die Katastrophe im Amazonas-Regenwald dauert seit Wochen an. In diesem Jahr gab es bereits 72'843 Waldbrände. Im ganzen Vorjahr waren es mit 39'759 fast halb so viele. Seit Juli sind mehr als 2255 Quadratkilometer Wald verschwunden. Das entspricht ungefähr einer Fläche von der Grösse des Kantons St. Gallen. Laut des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts (INPE) brachen im ganzen Land binnen 48 Stunden fast 2500 neue Brände aus. Das Regenwald-Inferno ist sogar rund 2700 Kilometer davon entfernt in der Mega-Metropole São Paulo zu spüren, wo gigantische Rauchschwaden den Himmel am helllichten Tag verdunkeln. Bewohner berichten von schwarzem Regen. Untersuchungen zeigen, dass das Regenwasser Brandrückstände enthält.
Die grüne Lunge der Welt
Die Waldbrände zerstören einen der grössten CO2-Speicher der Welt! Der Amazonas wandelt jährlich mehr als zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid um und produziert weltweit rund einen Fünftel des für den Menschen überlebenswichtigen Sauerstoffs. Auch im Kampf gegen den Klimawandel kommt dem Amazonas eine zentrale Rolle zu. Denn wenn die Waldfläche schrumpft, wird es umso schwieriger, die gesteckten Klimaziele zu erreichen und den CO2-Ausstoss in der Welt auszugleichen. Vellacott: «Die Brandrodung ist gleich doppelt schlimm, weil dabei einerseits gespeichertes CO2 durch den Verbrennungsprozess freigesetzt wird, andererseits in künftigen Jahren weniger CO2 gespeichert wird.»
Der Urwald als Klimaanlage
Der Amazonas hat auch eine kühlende Funktion. Denn die Bäume nehmen nicht nur CO2 aus der Umgebung auf, sondern auch Wasser. Wenn dieses verdunstet, entsteht eine Wolkendecke über dem Regenwald, die einen schützenden Schirm bildet. So wird verhindert, dass die Sonnenstrahlen den Boden zu stark aufheizen. Wird dieser Kreislauf beispielsweise durch Rodung unterbrochen, verdampft weniger Wasser – und die verbleibenden Wälder trocknen aus. Dies führt letztendlich dazu, dass die Gefahr von Waldbränden steigt. «Das Klima im Amazonas könnte kippen, wenn die Rodung weitergeht», sagt WWF-Geschäftsführer Vellacott.
Lebensraum für indigene Stämme
Der Regenwald, der sich zu 60 Prozent über brasilianisches Staatsgebiet erstreckt, ist auch der Lebensraum zahlreicher Ureinwohner. Etwa 900'000 Angehörige indigener Stämme leben im Amazonasgebiet. Sie kämpfen für den Erhalt des Waldes, der vor allem auch durch die Ausbreitung von Agrarflächen, durch den Bergbau oder durch Infrastrukturprojekte bedroht ist. 13 Prozent der Fläche Brasiliens sind als Schutzgebiete für die indigenen Stämme reserviert. Doch Präsident Bolsonaro will das ändern. Zugunsten von Plantagenbetreibern, Viehbauern und der Holzwirtschaft. Indigene Stammesangehörige kämpfen dagegen und beschuldigen Bauern der Brandstiftung. Diese würden absichtlich ihre Heimat zerstören, um zusätzliche Anbauflächen und Weidegebiete zu gewinnen.
Paradies für Tier- und Pflanzenarten
Die Feuerwalze macht nicht nur den Lebensraum Tausender Menschen platt, auch die Artenvielfalt wird durch das Inferno bedroht. «Die Biodiversität im Amazonas ist einmalig», sagt Vellacott. «Auf 100 mal 100 Meter kommen dort so viele Baumarten vor wie in ganz Europa.» (noo)