CIA-Analystin über Nordkoreas Diktator Kim Jong Un
«Er will kein kleiner Fisch im grossen Teich sein»

Als CIA-Analystin verfolgte Jung H. Pak (45) jeden Schritt von Kim Jong Un. Nun hat sie eine Biografie über den nordkoreanischen Diktator geschrieben – und warnt davor, ihn zu unterschätzten.
Publiziert: 20.07.2020 um 23:23 Uhr
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Aktualisiert: 07.05.2021 um 16:40 Uhr
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Ex-CIA-Analystin Jung H. Pak: «Kim will kein kleiner Fisch im grossen Teich sein.»
Foto: PAUL MORIGI
Interview: Fabienne Kinzelmann

Diese Frau kennt Kim Jong Un (36) bestens. Als CIA-Analystin verfolgte Jung H. Pak (45) jeden Schritt des nordkoreanischen Diktators. Im BLICK-Interview spricht sie über seine Schulzeit in der Schweiz, die Gemeinsamkeiten mit Donald Trump (74) – und ob es stimmt, dass es in Nordkorea keine einzige Corona-Infektion gibt.

Vor Wochen gab es Gerüchte, dass Kim Jong Un tot wäre. Wäre das gut für Nordkorea gewesen – oder schlecht?
Ich hatte gehofft, dass er noch lebt. Kim Jong Uns Tod könnte schnell zu einer Situation führen, in der wir konkurrierende Lager haben, einen Militärputsch, generelle Instabilität oder einen Kampf um die Nuklearwaffen des Landes. Und dann mischen sich vielleicht auch noch China, Südkorea oder die USA ein.

Könnte seine Schwester Kim Yo Jong nicht übernehmen?
Das erwarten alle. Es ist auf jeden Fall sehr interessant, wie Kim Jong Un sie diplomatisch eingebunden hat – etwa 2018, als sie die nordkoreanische Delegation bei den Gesprächen zu einer möglichen Olympia-Teilnahme und diplomatischen Beziehungen mit Südkorea geleitet hat. In den vergangenen Wochen hat sich ihre Rolle noch mal verändert. Sie hat sich regelmässig öffentlich geäussert: Sie hat gedroht, war aggressiv, hat Militäraktionen angeordnet.

Was bedeutet das?
Ich glaube, dass ihr Bruder will, dass sie militärische Erfahrung bekommt. Sie hat mindestens seit 2014 eine führende Rolle in der Regierung inne, und das war eine fehlende Lücke in ihrem Lebenslauf, um die Führung zu übernehmen, falls ihm irgendwas zustösst – zumindest bis seine eigenen Nachkommen alt genug sind. Sie wären noch zu jung, um die Führung allein zu übernehmen.

Klingt, als wäre Kim Jong Un sehr strategisch.
Wir sollten ihn nicht unterschätzen. Er wird das natürlich nicht offenlegen, weil er nicht will, dass die nordkoreanische Elite das Wissen in irgendeiner Weise nutzt und intrigiert. Aber sein eigener Vater verstarb plötzlich, und Kim wurde ins kalte Wasser geworden. Ich würde mich also nicht wundern, wenn er über die Nachfolgefrage bereits seit Jahren nachdenkt.

Was hat er aus seiner Schulzeit in der Schweiz mitgenommen?
Dass er kein kleiner Fisch im grossen Teich sein will. Dort haben seine Familien, sein Vermögen nichts gezählt. Auf Fotos von damals steht Kim allein im Hintergrund, während alle anderen lachen, sich umarmen. Seine Erfahrungen könnten tiefe Konflikte in ihm ausgelöst haben: Die Schweiz war so wohlhabend, offen und beneidenswert – vielleicht hat er sich gefragt, wie ein so armes und isoliertes Land wie Nordkorea daneben bestehen kann.

Welche Dinge muss man über Kim Jong Un wissen, um ihn zu verstehen?
Etwa, dass er in seinen ersten Regierungsjahren Hunderte Beamte umgebracht hat. Zwei Familienmitglieder hat er öffentlich hinrichten lassen. Das ist sogar für Nordkorea ziemlich aggressiv. Er will unbedingt seine Macht sichern und betonen. Zweitens: seine Freundschaft mit dem US-Basketballer Dennis Rodman.

Die wirkte schon immer sehr kurios.
Ja – Kim war gerade erst im Amt, wirkte wie ein verrückter, junger Diktator ohne nennenswerte Fähigkeiten. Dann beginnen diese Treffen mit Rodman. Schaut man sich die Fotos vom ersten Treffen 2013 an, sieht man, wie fröhlich Kim ist. Er lacht, hat wirklich eine gute Zeit mit Rodman, den er vorher noch nie getroffen, aber bewundert hat. Das sagt uns viel über seine Persönlichkeit: Er will zeigen, dass er Spass haben kann – aber auch, dass er einfach machen kann, was er will. Dass er das macht, egal, was die nordkoreanische Führung darüber denkt. Darum gehts.

Wie gut hat Trump das Sicherheitsrisiko Nordkorea unter Kontrolle?
Anfangs lief es gut. Der maximale Druck begann gerade zu wirken. Nach Kims Nukleartests 2017 und wegen der amerikanischen Politik des maximalen Drucks haben rund 20 Länder nordkoreanische Diplomaten degradiert oder aus ihrem Land geschmissen. Sogar Peking hat sich den Sanktionen angeschlossen. Aber bevor die Massnahmen ihre volle Wirkung entfalten konnten, hat sich Trump entschlossen, sich mit Kim zu treffen. Das erste Gipfeltreffen hat die Druck-Strategie ruiniert.

Warum hat Trump seine Strategie geändert, wenn sie funktioniert hat?
Trump hatte immer eine andere Sicht auf Kim, er bewundert ihn fast ein bisschen. Er findet, es wäre nicht einfach, ein Land zu übernehmen, wenn man erst 27 sei. So alt war auch Trump selbst, als er das Familienimperium übernahm. Trump hat gehofft, dass er einen «Deal» mit Kim machen kann, wie er das aus seinem früheren Leben kannte.

Sie schreiben, Trump und Kim Jong Un hätten viel gemeinsam.
Beide kommen aus privilegierten Familien. Sie waren immer von Dienern umgeben, von Leuten, die für sie gearbeitet haben oder über sie in höhere Kreise aufsteigen wollten. Für Staatschefs haben beide eine sehr düstere Sicht auf die Welt. Das hilft ihnen, offensichtlich gut miteinander zurechtzukommen. Zur weltweiten Sicherheit hat es aber leider nicht beigetragen. Weder hat Nordkorea sein Atomprogramm aufgegeben noch die Beziehung mit Südkorea verbessert noch sich in der Weltgemeinschaft integriert.

Trumps Treffen haben also nicht gebracht?
Schlimmer: Wir sind in einer schlechteren Situation als zuvor, weil die aussenpolitischen Beziehungen der USA nicht gut sind. Das Verhältnis mit unseren Verbündeten und Partnern ist gestört, während sich China und Nordkorea wieder angenähert haben.

Jong Un behauptet, er hätte das Coronavirus unter Kontrolle. Glauben Sie das?
Nordkorea hat Ende Januar mit dem Lockdown begonnen. Jetzt haben wir Juli. Ich glaube schon, dass das Regime das Virus davon abhalten konnte, sich in Nordkorea auszubreiten.

Laut der nordkoreanischen Führung gibt es keine einzige Infektion.
Man darf nicht unterschätzen, wie viel Kontrolle Kim hat. Es gibt offenbar die Anweisung, jeden zu erschiessen, der die Grenze überqueren will. Kim hat seinen Beamten in den vergangenen Wochen eingeschärft, die Massnahmen keinesfalls zu lockern. Corona ist also noch ein Thema für Nordkorea. Ich sorge mich um die 23 Millionen Einwohner, die kaum Zugang zu medizinischer Versorgung haben und unterernährt sind. Das macht sie noch anfälliger für Krankheiten.

Glauben Sie, wir sehen noch zu Kim Jong Uns Lebzeiten Frieden mit Südkorea?
Das wäre schön, aber Kims ganze Macht baut auf dem fehlenden Frieden auf. Die ganze Führerdynastie ist auf dem Mythos einer feindlichen Aussenwelt aufgebaut und dass einzig Kim Jong Un und die Kim-Familie das nordkoreanische Volk vor bösen Kräften schützen können, die versuchen, Nordkorea zu zerstören.

Die Kim-Kennerin

Die Historikerin Jung H. Pak (45) arbeitete acht Jahre für die CIA. Als sie 2017 zu einer Denkfabrik in Washington wechselte, galt Nordkorea als eines der grössten Sicherheitsrisiken der USA. Pak hat Diktator Kim Jong Un beim Aufbau seines Waffenprogramms und zahlreichen Tests beobachtet. Ihr Buch «Kim Jong-Un. Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik» (Dumont) erscheint am 21. Juli.

Die Historikerin Jung H. Pak (45) arbeitete acht Jahre für die CIA. Als sie 2017 zu einer Denkfabrik in Washington wechselte, galt Nordkorea als eines der grössten Sicherheitsrisiken der USA. Pak hat Diktator Kim Jong Un beim Aufbau seines Waffenprogramms und zahlreichen Tests beobachtet. Ihr Buch «Kim Jong-Un. Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik» (Dumont) erscheint am 21. Juli.

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