Chef von Transparency International Slovakia über Korruption und den Mord an Jan Kuciak (†27)
«Sein Tod wird unaufgeklärt bleiben»

Gabriel Sipos (43) von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International arbeitete mit dem ermordeten Journalisten Jan Kuciak (†27) zusammen. Er hat kaum Hoffnung, dass dessen Mord aufgeklärt wird.
Publiziert: 11.03.2018 um 23:44 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:55 Uhr
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Gabriel Sipos: Hohe Beamte verdanken ihren Job Spitzenpolitikern.
Foto: Vinzenz Greiner
Vinzenz Greiner

Herr Sipos, Jan Kuciak wurde ermordet – wohl wegen seiner Recherchen zu Korruption und Mafia. Sie hatten mit ihm zusammengearbeitet. Worum ging es dabei?
Gabriel Sipos: Das war vor einigen Jahren. Es ging um Krankenhäuser, die zu viel für Computertomografie-Scanner bezahlten, zum Teil 50 oder 100 Prozent über den Marktpreisen. Es war eine von Kuciaks ersten grossen Storys.

Sind der Gesundheitssektor und das öffentliche Beschaffungswesen besonders anfällig für Korruption?
Ja. Alles in allem haben wir 5000 Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Die Gesamtsumme der Verträge liegt zwischen fünf und sieben Milliarden Euro pro Jahr. Aber nicht nur der Gesundheitssektor, auch öffentliche Ausschreibungen für IT-Projekte sind anfällig für Korruption. Die gesamte IT-Branche ist schwer greifbar, nicht wirklich transparent. Daher ist es schwierig, Verträge und Geldströme zu verfolgen. Grosse Probleme mit Korruption haben wir auch in der Rechtsberatung, die der Staat in Anspruch nimmt, und im Bauwesen wie etwa Strassenbau.

Wie sieht Korruption in so einem Fall konkret aus?
Sie blasen Projekte auf, machen sie damit teurer als sie sein müssen. Mit der Anzahl an kleinen Seitensträsschen und Ähnlichem können Sie recht einfach betrügen. Es geht auch um die Art, wie ausgeschrieben wird: Sie geben bestimmten Unternehmen den Vorzug.

Die Slowakei liegt im «Corruption Perception Index» von Transparency International auf Platz 54. Ist es nur ein Problem der Wahrnehmung? Oder hat die Slowakei ein echtes Korruptionsproblem?
Studien zeigen eine klare Korrelation zwischen Wahrnehmung und Korruption an sich. Die Slowakei hat dieses Problem wie alle postsozialistischen Länder in Mittel- und Osteuropa. Denn sie alle mussten Institutionen wieder aufbauen, die in vielen Fällen auf die einstige Elite angewiesen waren.

Wie kommt es dann, dass Länder wie Polen oder Tschechien mit einer ähnlichen Geschichte weniger korrupt sind?
Die Slowaken verhalten sich gegenüber der Politik ziemlich passiv. Sie tun also nicht sehr viel gegen Korruption. Das ist die eine Sache. Die andere: Die Regierung ernennt Richter, die hohen Polizeibeamten, die Staatsanwaltschaft und so weiter. Diese Besetzung ist politisch.

Das Auswahlverfahren bestimmt die Verfassung – wie in vielen anderen Ländern.
Damit habe ich auch kein Problem. Aber in der Slowakei werden diese Leute nicht aufgrund ihrer Expertise ausgewählt. Es ist ein politisches Spiel, das bisher jede Regierung gespielt hat. Im Vergleich dazu haben sie in Polen in den meisten Institutionen aufgeräumt. Unsere tschechischen Nachbarn haben kompetente Leute eingesetzt, um Korruption und andere Verbrechen zu bekämpfen.

Sie sagen also: Die slowakischen Verantwortlichen für den Kampf gegen Korruption sind nicht kompetent?
Staatsanwälte und hochrangige Polizeibeamte wechseln bei uns mit den Regierungen. Sie sind von ihnen abhängig. Die meisten Korruptionsfälle, die wir in der Slowakei haben, reichen bis 100 Euro – das ist Bestechung von Ärzten oder der Verkehrspolizei. Die grossen Fälle aber bleiben ungelöst.

Nicht alle.
Bisher wurden nur in einem grösseren Fall Personen zur Rechenschaft gezogen: Die Ex-Minister für Bau und Entwicklung Marian Janusek und Igor Stefanov wurden im vergangenen Jahr ins Gefängnis gesteckt. Das aber erst zehn Jahre nach ihren Verbrechen! Und: Sie wurden nicht wegen Korruption verurteilt, sondern wegen Machtmissbrauchs und Verstössen gegen die Ausschreibungsregelungen. Anderes Beispiel: Die Abhör-Affäre «Gorilla». Bis heute gibt es keine Ergebnisse. Ich frage mich, ob Polizeipräsident Tibor Gaspar die Polizei überhaupt ihre Arbeit machen lässt.

Polizei und die Richter haben kein Interesse oder werden sogar daran gehindert, Fälle zu lösen?
Hochrangige Polizeibeamte haben kaum Motivation dazu, weil die meisten von ihnen ihre Jobs Spitzenpolitikern verdanken. Und in heiklen Fällen müsste man ja gegen Freunde dieser Politiker ermitteln.

Was ist mit dem Mord an Jan Kuciak? Er hat genau über solche Leute recherchiert und geschrieben.
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass der Mord an ihm aufgeklärt wird. Man findet vielleicht den Kerl mit der Waffe. Aber höchstwahrscheinlich nicht die Leute, die dahinter standen und Kuciaks Tod anordneten. Wissen Sie, jeder fünfte Mord an Journalisten weltweit hat etwas mit Korruption zu tun. Und nur jeder zweite Fall davon wird gelöst. Wenn ich wetten sollte, würde ich sagen: Kuciaks Tod wird ungelöst bleiben.

Sind Sie überrascht, dass er ermordet wurde?
Ja. Ich meinte immer, diese Art von Gewalt sei eine No-go-Area. Aber dann dachte ich: Angesichts der Drohungen gegen Journalisten und der Atmosphäre im Land hätte ich vielleicht auf einen solchen Fall vorbereitet sein sollen.

Kuciak wurde Monate vor seinem Tod bedroht. Erhalten Sie auch Drohungen wegen Ihrer Arbeit?
Nein, nicht körperlich. Als wir der Whistleblowerin Zuzana Hlavkova im Jar 2016 halfen, dachten wir über die Möglichkeit nach, dass unsere Telefone angezapft werden könnten. Aber das ist alles.

Manche Slowaken sagen, sie fühlten sich in Bezug auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit um Jahre zurückgeworfen. Welche Zukunft sehen Sie für die Slowakei?
Die Lage auf nationaler Ebene bedrückt mich. Aber in den Regionen sehe ich Bewegung. Vor zehn Jahren waren Arbeitslosigkeit und der Konflikt mit Ungarn für die Menschen wichtiger als Korruption. Das hat sich verändert. Bei den Regionalwahlen wurden sechs von acht Regionalregierungen ersetzt – die Hälfte von ihnen wegen Korruption. Ich bleibe voll Hoffnung: Slowaken scheinen sich aus ihrer passiven Haltung herauszubewegen und sich zu engagieren.

Wird es ein Frühling wie 1968?

Die Donau fliesst behäbig an joggenden Menschen vorbei. Die Sonne gibt eine Ahnung, welche Kraft sie demnächst über Bratislava auspacken wird. Ein ganz normaler Frühlingstag? Nein. Nach dem Mord am Journalisten Jan Kuciak und nach den Protesten Zehntausender gegen die Regierung ist vielen klar: Es gibt ein Vor und ein Nach dieser Zeit. Die Slowakei werde nie mehr so sein, wie sie einmal war, hört man allenthalben. Bewegung im Land, Frühling in Bratislava. Ob es ein Frühling wird wie in Prag vor 50 Jahren? Vinzenz Greiner, BLICK-Autor, der eine Woche bei den Kollegen in der Slowakei war.

Die Donau fliesst behäbig an joggenden Menschen vorbei. Die Sonne gibt eine Ahnung, welche Kraft sie demnächst über Bratislava auspacken wird. Ein ganz normaler Frühlingstag? Nein. Nach dem Mord am Journalisten Jan Kuciak und nach den Protesten Zehntausender gegen die Regierung ist vielen klar: Es gibt ein Vor und ein Nach dieser Zeit. Die Slowakei werde nie mehr so sein, wie sie einmal war, hört man allenthalben. Bewegung im Land, Frühling in Bratislava. Ob es ein Frühling wird wie in Prag vor 50 Jahren? Vinzenz Greiner, BLICK-Autor, der eine Woche bei den Kollegen in der Slowakei war.

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