Die Wahrheit steht nicht zwischen den Zeilen, sondern gleich am Anfang von Jeff Sessions’ Kündigungsschreiben an den US-Präsidenten. «Auf Ihren Wunsch hin reiche ich hiermit meinen Rücktritt ein», schreibt der Justizminister (71) nur einen Tag nach den Halbzeitwahlen in den USA an Donald Trump. Ein freiwilliger Abgang klingt anders.
Es ist der Höhepunkt eines monatelangen kalten Krieges zwischen dem US-Präsidenten und seinem Justizminister. Im September behauptete Trump gar in einem Interview, er habe keinen Justizminister: «Very sad», sehr traurig. Das war natürlich Unsinn.
Der Justizminister verscherzte es sich mit Trump
Trump wollte lediglich nicht akzeptieren, dass Sessions die Aufsicht über die Russland-Ermittlungen abgegeben hatte. Der Präsident hätte sich gewünscht, dass ihn sein Justizminister schützt. Aus «Befangenheit» hatte sich der ehemals loyale Trump-Unterstützer jedoch aus den pikanten Untersuchungen rausgehalten.
Stattdessen beauftragte der Chefankläger seinen Stellvertreter Rod Rosenstein (53) mit der Aufsicht. Rosenstein wiederum setzte im Mai 2017 den Ex-FBI-Chef Robert Mueller (74) als Sonderermittler ein.
Der ist Trump seither auf den Fersen, untersucht akribisch mögliche russische Einmischung in den Wahlkampf 2016 und Verbindungen zwischen Moskau und Trumps Wahlkampfteam. Für Trump sind die Ermittlungen höchst unangenehm. Er geisselt sie regelmässig als «Hexenjagd».
In seinem Rücktrittsschreiben zählt Sessions nicht nur seine Erfolge als Justizminister auf, sondern betont auch immer wieder, dass er «Recht und Gesetz» durchgesetzt habe – ganz im Sinne von Trumps Wahlkampagne. Bei der Führung und Weiterentwicklung der US-Justiz habe er immer auf «Integrität» geachtet.
Der US-Präsident ernannte Whitaker als kommissarischen Nachfolger
Es sind harmlose Worte wie diese, die auf den Streit zwischen Sessions und dem US-Präsidenten hinweisen: Sessions war nicht bereit, sein Amt als persönlicher Anwalt von Trump auszuführen. Noch am frühen Mittwochabend (Ortszeit) verliess Sessions das Justizministerium unter dem Applaus von Mitarbeitern des Ressorts.
Trump (72) reagierte auf Sessions’ Rücktritt wie immer – via Twitter. Er verkündete, dass Matthew G. Whitaker (49) das Justizministerium kommissarisch leiten werde. Erst danach dankte der US-Präsident seinem Ex-Justizminister knapp für dessen Dienste.
Der Jurist Whitaker ist als Trump-Freund bekannt, der regelmässig im Oval Office zu Gast ist. Der Personalwechsel ist ein kluger Schachzug des US-Präsidenten. Zeitlich begrenzt wird Whitaker durch den kommissarischen Posten auch zum Chefankläger und kann die Aufsicht über die Russland-Ermittlungen übernehmen.
Demokraten fürchten um Russland-Ermittlungen
Whitakers Ernennung durch Trump ist ein Ärgernis für die Demokraten. Gerade erst haben sie bei den Kongresswahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen. Wenn die neuen Abgeordneten im Januar ihre Sitze und den Vorsitz über diverse Ausschüsse übernehmen, wollen sie auch die Russland-Ermittlungen forcieren.
Die Chefs der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat, Nancy Pelosi (78) und Chuck Schumer (67), halten Whitaker für befangen. Sie begründeten dies damit, dass Sessions' bisheriger Stabschef im August 2017 in einem Meinungsbeitrag für CNN erklärte, Mueller habe bei seinen Ermittlungen zu viel Spielraum.
Schumer sagte, falls die Sessions-Personalie ein Ende oder eine bedeutsame Beschränkung der Russland-Ermittlungen einleiten solle, würde das eine Verfassungskrise auslösen. Bei Twitter warf er Whitaker Befangenheit vor und rief ihn dazu auf, die Aufsicht über die Untersuchungen abzugeben.
Das forderte auch Pelosi bei Twitter. Der US-Kongress müsse sofort handeln, um die Rechtsstaatlichkeit und die Integrität der Ermittlungen zu schützen. Sessions’ Rausschmiss sei nichts anderes als der Versuch, die Mueller-Ermittlungen zu unterlaufen und zu stoppen.
War Whitakers Ernennung ein Rechtsbruch?
Besorgt äusserte sich ebenso der frühere demokratische Justizminister Eric Holder. «Jeder, der versucht, die Mueller-Ermittlungen zu beeinflussen oder zu behindern, muss zur Verantwortung gezogen werden», schrieb Holder bei Twitter. «Das ist eine rote Linie.» Die USA seien ein Rechtsstaat und kein Subjekt eigennütziger Handlungen eines einzelnen Mannes.
Doch schon Whitakers kommissarische Ernennung könnte ein Rechtsbruch sein. Das berichtete ausgerechnet Trumps Lieblingssender Fox News. «Nach dem Gesetz muss die Person, die das Justizministerium führt, vom Senat ernannt werden. Selbst wenn die Position zeitlich begrenzt ist», analysierte der Jurist Andrew Napolitano (68) in einem Interview.
Der eigentlich logische – und bereits vom Senat ernannte – Nachfolger: Stellvertreter Rod Rosenstein.