Weitere Hürden stehen bereits bevor
London und Brüssel einigen sich auf Brexit-Deal

Unmittelbar vor dem EU-Gipfel haben Grossbritannien und die EU einen Durchbruch im Brexit-Streit erzielt. «Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal», schrieb EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Publiziert: 17.10.2019 um 16:08 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2019 um 16:09 Uhr
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Unmittelbar vor dem EU-Gipfel haben London und Brüssel nach wochenlangen zähen Verhandlungen endlich einen Durchbruch im Brexit-Streit erzielt.
Foto: Getty Images

Juncker empfahl den EU-Staats- und Regierungschefs, das Abkommen mitzutragen. «Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Grossbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden», schrieb er auf Twitter. Der Brexit-Deal ist am EU-Gipfel für den Donnerstagnachmittag traktandiert.

Der britische Premierminister Boris Johnson bezeichnete seinerseits das neue Brexit-Abkommen als «grossartig». Nun erhalte Grossbritannien die Kontrolle über den Prozess zurück.

Damit das Abkommen aber in Kraft treten und das Vereinigte Königreich die EU wie geplant am 31. Oktober verlassen kann, muss das britische Unterhaus dem neuen Regelwerk zustimmen. Die Abstimmung ist für Samstag geplant. Johnsons Konservative Partei hat aber keine eigene Mehrheit und ist auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen.

Kritik am Brexit-Deal aus Reihen der DUP

Die nordirisch-protestantische DUP hat jedoch laut BBC dem Abkommen noch nicht zugestimmt. Eine Mitteilung vom Morgen gelte weiterhin, berichtete die BBC unter Berufung auf DUP-Kreise. Parteichefin Arlene Foster und Fraktionschef Nigel Dodds hatten am Morgen mitgeteilt, dass sie nicht einverstanden seien. Doch ohne Zustimmung der DUP dürfte es für Johnson schwierig werden, den Deal durch das Unterhaus zu bringen.

Auch Labour stellt sich quer

Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn lehnt das neue Brexit-Abkommen ab und sprach von einem «Ausverkauf». Der Vorsitzende der grössten Oppositionspartei im Unterhaus teilte mit: «Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als Theresa May.» May ist die Vorgängerin von Premierminister Johnson.

Gemäss Corbyn gefährdet das Brexit-Abkommen unter anderem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern. Erneut forderte er ein zweites Brexit-Referendum. Die Briten hatten vor etwa drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt.

Zeit für Ratifizierung noch möglich

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hält jedoch einen geordneten Austritt Grossbritanniens am 31. Oktober noch für möglich. Ab 1. November werde man dann über die künftigen Beziehungen sprechen, sagte Barnier in Brüssel. Die Zeit für die Ratifizierung könne noch ausreichen. Er appellierte ausserdem an das britische Unterhaus, Verantwortung zu zeigen und das «faire und vernünftige Abkommen» anzunehmen.

Denn nach den Worten Barniers schafft das neu ausgehandelte Abkommen Rechtssicherheit. Es werde eine Übergangsphase bis Ende 2020 geben. Eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland sei ausgeschlossen. Nordirland werde dazu begrenzt weiter EU-Regeln unterliegen und bilde das Eingangstor in den EU-Binnenmarkt.

Streitpunkt war bis zuletzt die enthaltene Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Derzeit gibt es keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel. Das wollen Dublin und Brüssel nach dem Brexit nicht ändern.

Was ist der Backstop?

Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.

Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.

Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.

Größter Streitpunkt der Brexit-Verhandlungen ist der sogenannte Backstop.

Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.

Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.

Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.

Was steht im neuen Brexit-Deal drin?

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte:

  1. Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards.

  2. Es bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs.

  3. Es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden.

  4. Ausserdem könne die nordirische Volksvertretung vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten solle. Die jetzige Vereinbarung sei keine Übergangslösung, sondern würde dann auf Dauer gelten.

Darüber hinaus wurde die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Grossbritannien geändert, wie Barnier weiter sagte. Darin gebe London «solide Garantien», dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.

Seit Tagen hatten Brüssel und London unter Hochdruck über Änderungen an dem Austrittsvertrag verhandelt, den die damalige Premierministerin May 2018 noch mit Brüssel vereinbart hatte. Ihr Nachfolger Johnson verlangte Änderungen, weil er eine zu enge Bindung an die EU fürchtete.

Wann entscheidet das Parlament über den Deal?

Das britische Parlament wird am Samstag über das zwischen London und Brüssel vereinbarte Brexit-Abkommen abstimmen. Das haben die Abgeordneten am Donnerstag in London entschieden. Es ist die erste Sitzung des Unterhauses an einem Samstag seit 37 Jahren. (SDA)

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

Die komplette Brexit-Chronologie

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.


Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

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