Abspaltung Schottland, harte Grenzen in Irland
Führt Johnsons Brexit-Kurs zum Zusammenbruch Grossbritanniens?

Durch den harten Brexit-Kurs des britischen Premierministers Boris Johnson wächst nach Einschätzung des deutsch-britischen Politikwissenschaftlers Alex Clarkson die Gefahr einer Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich. In Irland drohen harte Grenzen.
Publiziert: 06.09.2019 um 09:43 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2020 um 14:42 Uhr
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Der britische Premierminister Boris Johnson will um jeden Preis am 31. Oktober aus der EU austreten.
Foto: AFP

Aufwind für schottische Separatisten

Bei den Gegnern wie auch bei den Anhängern eines EU-Austritts Grossbritanniens sei eine Radikalisierung zu beobachten, sagte der Experte vom Londoner King's College am Donnerstag dem Sender SWR. «Die eigentliche Gefahr liegt aber in der Radikalisierung der anderen Nationen», sagte er.

So hätten mittlerweile die schottischen Nationalisten «wieder die Oberhand», warnte Clarkson. Diese könnten viele proeuropäische Wähler an sich binden. Eine Loslösung Schottlands von Grossbritannien rücke damit näher.

Steht Grossbritannien vor dem Zusammenbruch?

«Das ist das grosse Risiko», sagte Clarkson. «Grossbritannien ist eben ein Vielvölkerstaat, der nahe am möglichen Zusammenbruch steht.» Wenn Johnson weiter die Strategie verfolge, eine Machtbasis nur auf England aufzubauen, sehe er «keine Zukunft, wo Schottland in Grossbritannien bleibt».

Dann spitze sich eine Krise zu, in der die EU nicht nur keinen Verhandlungspartner habe, sondern gar keinen Staat mehr, mit dem sie verhandeln könne. «Grossbritannien ist praktisch auf Autopilot, nicht mehr funktionsfähig», sagte Clarkson.

Er sprach sich dafür aus, die Brexit-Verhandlungen mit der EU um ein Jahr zu verlängern, wie von der künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen: «Das ist eine gute Idee, weil schlicht und einfach drei Monate nicht genug Zeit sind, um dieses Chaos wieder zur Ordnung zu führen.»

Foto: Blick Grafik

Irland droht mit harten Grenzen

Irland will im Fall eines Brexit ohne Vertrag grenznahe Kontrollen zum britischen Nordirland einführen. «Wir arbeiten Details mit der Europäischen Kommission aus», sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar am Donnerstag laut Redemanuskript.

Es werde Kontrollen von Waren und Nutztieren geben, die - soweit möglich - in Flughäfen, Seehäfen und Firmen stattfinden sollten. Aber auch nahe der Grenze müsse es Kontrollen geben, hiess es weiter. Bereits im Juli hatte Varadkar erklärt, Irland stehe vor der Herausforderung, den EU-Binnenmarkt zu schützen und gleichzeitig scharfe Grenzkontrollen zu vermeiden.

Backstop ist Haupt-Zankapfel im Brexit-Zoff

Die Gestaltung der Grenze zwischen Irland und Nordirland ist seit drei Jahren der zentrale Streitpunkt in den Brexit-Verhandlungen. Im Falle einer Grenze mit Personen- und Warenkontrollen wird ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konfliktes befürchtet.

Bei einer offenen Grenze pocht die EU darauf, dass Nordirland Teil des Binnenmarktes mit all seinen Auflagen bleibt, bis eine endgültige Lösung für die Grenze gefunden worden ist. Dies - den sogenannten Backstop - lehnt Premierminister Boris Johnson ebenso wie eine Mehrheit im britischen Parlament ab.

Johnson scheitert mit hartem Kurs im Parlament

Premier Johnson will den Brexit unbedingt bis zum 31. Oktober vollziehen. Am Mittwoch erlitt der konservative Premier allerdings zwei Niederlagen im Unterhaus. Zunächst verabschiedeten die Abgeordneten den Gesetzesentwurf, der eine Verschiebung des für Ende Oktober geplanten EU-Austritts bis Ende Januar vorsieht, sollte es bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU auf ein Austrittsabkommen geben.

Der Regierungschef stellte daraufhin vorgezogene Neuwahlen im Parlament zur Abstimmung, scheiterte aber auch damit. Die oppositionelle Labour-Partei ist zwar grundsätzlich zu Neuwahlen bereit, aber noch unsicher hinsichtlich des Termins. Sie befürchtet, dass Johnson das Gesetz gegen den harten Brexit ignorieren könnte.

Wie geht es mit dem Brexit weiter?

Acht Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Grossbritanniens am 31. Oktober geht das Ringen um den Brexit in die heisse Phase. Diese Termine lassen sich absehen:

  • 6. September:
    Das Oberhaus in London wird aller Voraussicht nach das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit verabschieden. Sollten die Lords keine Änderungen vornehmen, kann es als nächstes Königin Elizabeth II. zur Unterschrift vorgelegt werden. Andernfalls muss es nochmals ins Unterhaus.

    In Brüssel stehen am Freitag abermals Gespräche des britischen Brexit-Unterhändlers David Frost mit Experten der EU-Kommission an. Die EU wartet nach wie vor auf konkrete Vorschläge, wie die britische Regierung den umstrittenen Backstop für Irland ändern will.

  • 9. September:
    Das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit dürfte mit der Unterzeichnung durch die Queen in Kraft treten. Am selben Tag will der britische Premierminister Boris Johnson erneut über eine Neuwahl abstimmen lassen, bevor das Parlament möglicherweise in die Zwangspause geschickt wird.

  • 11. September:
    Die Botschafter der EU-Staaten befassen sich mit der Entwicklung im Brexit-Streit.

  • 12. September:
    Spätestens an diesem Tag soll das britische Parlament in die Zwangspause gehen.

  • 16. September:
    Das EU-Parlament kehrt aus seiner Sommerpause zurück.

  • 14. Oktober:
    Das britische Parlament wird durch Verlesung des Regierungsprogramms durch die Queen wiedereröffnet.

  • 15. Oktober:
    Gewünschter Wahltermin der Johnson-Regierung für eine Parlamentswahl in Grossbritannien.

    In Brüssel wollen die verbliebenen 27 bleibenden EU-Mitgliedsstaaten auf Ministerebene über den Brexit beraten.

  • 17. und 18. Oktober:
    EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs.

  • 19. Oktober:
    Frist im Gesetz gegen No-Deal-Brexit läuft ab. Sollte bis dahin kein Austrittsabkommen ratifiziert sein, muss der britische Premierminister eine Verschiebung des Brexits beantragen.

  • 31. Oktober:
    Voraussichtlich letzter Tag der britischen EU-Mitgliedschaft.

(SDA)

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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