Sie sind am Ziel ihrer Flucht. Mitten in der Toscana fühlen sich Barbara Schwager (56) und ihr Freund Nadeem Akram (26) aus Pakistan sicherer als in der Schweiz. «In Italien sind sie lockerer mit den Asylanträgen», sagt die Zürcherin. Ihre Hoffnung: «Hier können wir die nötigen Papiere bekommen und heiraten.» Ein Trauschein wäre für Nadeem die Rettung. Damit könnte er in Italien bleiben, vielleicht sogar in der Schweiz leben. Er müsste nicht zurück in seine Heimat, aus der er vor zwei Jahren floh.
Auf der Piazza von San Giovanni Valdarno sind die Sorgen weit weg. Schwager legt ihren Kopf auf seine Schulter. Bobo nennt er sie – und lächelt. Friedlich ist es im 17’000-Seelen-Ort. Doch die Idylle trügt.
Ohne Asylantrag ist Nadeem illegal in Italien
«Solange Nadeem kein Asyl in Italien beantragt hat, ist er illegal hier», sagt Schwager. Theoretisch könne er verhaftet werden. Immerhin: Die beiden haben schnell eine Wohnung gefunden. 500 Euro Miete. Ein Dachgeschoss mit Wohnküche und kleinem Schlafzimmer. Ein winziger Balkon erlaubt den Blick über die Dächer der Altstadt.
Und: Das 45 Quadratmeter grosse Apartment ist möbliert. Denn viel hat Barbara Schwager aus ihrer Thurgauer Heimat nicht mitgenommen. Ein paar Töpfe. Sommerklamotten. Hundefutter für die Mischlinge Pahuto (6) und Angel (12). Dazu zwei Glücksbringer. Einen für Nadeem. Einen für Barbara. Denn Glück kann das ungleiche Paar gebrauchen.
Das Hochzeitskleid hängt schon im Schrank
Im Schrank hängt ein Stück Vorfreude: das Hochzeitskleid. Aus Seide. Schwarz, nicht weiss. Mit Pailletten bestickt. «Das hatte ich noch in der Schweiz bestellt», sagt Barbara. «Ich werde es tragen, wenn wir hier in San Giovanni Valdarno heiraten!»
Ihre Liebe begann im März 2016 im Park in Ettenhausen TG – mit einem scheuen Blickkontakt. Im September 2016 trifft Nadeem auf der Gemeindeverwaltung wieder auf die 30 Jahre ältere Zürcherin. Ein Zufall, der wie Fügung schmeckt. Nadeem spricht die Mittfünfzigerin einfach an.
«Von da an haben wir uns immer wieder getroffen, bevor Nadeem schliesslich bei mir einzog», sagt Barbara. Ein Spiessrutenlauf beginnt. «Meine Familie zeigte kein Verständnis. Meine Mutter hatte immer gehofft, ich würde einen reichen Mann heiraten. Dass nun ein pakistanischer Flüchtling mein Ehemann wird, findet sie gar nicht gut», sagt Barbara traurig. Sie gesteht: «Auch zwei gute Freundinnen habe ich verloren.»
Als Schlepperin verhaftet und verurteilt
Im Januar 2017 erfährt Nadeem, dass sein Asylgesuch abgelehnt wurde. Er soll Ende Februar abgeschoben werden. So lange will er nicht warten und flieht nach Italien. In der Toscana hat er Freunde. Barbara reist nach. Die beiden geniessen die Zeit in San Giovanni Valdarno.
Dann begeht das Paar einen Fehler. «Ich wollte Nadeem und seinem Freund ein wenig Europa zeigen», sagt Barbara. Sie fuhren mit ihrem silbergrauen, etwas verbeulten Ford Focus nach Österreich, dann in Bayern über die Grenze. Auf der Autobahn in Kiefersfelden (D) wird der Wagen mit Schweizer Kennzeichen von der Bundespolizei angehalten. Alle Insassen werden verhaftet. Barbara Schwager sitzt zwei Wochen in U-Haft und wird im Schnellverfahren wegen Schlepperei zu sieben Monaten Knast auf Bewährung verurteilt, bedingt auf drei Jahre. Ihr Nadeem kommt in Abschiebehaft.
Zwei Monate später steht er bei Barbara in Ettenhausen wieder vor der Tür. Die Auflage der Deutschen: Er soll sich bei den Schweizer Behörden melden. Doch Nadeem denkt nicht dran. Er will wieder nach Italien. Dorthin, wo er schon nach seiner Flucht gestrandet ist. «In Pakistan droht mir der Tod», sagt Nadeem. Barbara wird wieder zur Schlepperin: «Wir sind mit zitternden Knien über das Centovalli nach Domodossola gefahren. Am Grenzübergang war kein Mensch. Gott sei Dank!»
In der Wohnküche wirbelt Nadeem und kocht pakistanisch. «Das Essen schmeckt wunderbar», sagt Barbara und wagt einen Blick in die Zukunft. «Erst einmal wollen wir hier heiraten. Dann vielleicht weiter nach Kanada. Zusammen eine Farm oder ein pakistanisches Restaurant, das wäre unser Traum», sagt Barbara. Liebe kennt eben doch keine Grenzen.