San Diego, Kalifornien, Dienstag letzte Woche: Eine grosse Menschentraube bildet sich an einer Strassenecke. Laut grölend schiessen die jungen Frauen und Männer ein Selfie nach dem anderen, ehe sie in Richtung einer Bar gehen, die bereits rappelvoll ist. An der Ausgehstrasse im Herzen der Stadt ist an diesem lauen Sommerabend viel los. Die Restaurants sind gut gefüllt, die Autofahrer lassen ihren Motor bei jeder Gelegenheit laut aufheulen und die Rosenverkäufer sind verzweifelt auf der Suche nach Liebespaaren. Ein ganz normaler Dienstag im Juli. Nur die Schutzmasken, die in San Diego Pflicht sind, erinnern noch an die Coronavirus-Pandemie.
Der Dienstag wird in San Diego, das an Mexiko grenzt, als Taco Tuesday zelebriert. An diesem Wochentag ist traditionell besonders viel los. Doch der vergangene Dienstag war auch der Tag, an dem Kalifornien mit 11'694 Corona-Fällen einen neuen Rekord aufgestellt hat. Der Bundesstaat ist da schon längst in Alarmbereitschaft. Seit Wochen melden die verschiedenen Landeskreise steigende Corona-Zahlen. Die anfänglich tiefen Corona-Fälle, die Kalifornien zum Musterschüler in Amerika gemacht haben, sind mit den Lockdown-Öffnungen Anfang Mai rasant gestiegen. Kalifornien gilt mittlerweile gar als das neue Corona-Epizentrum des Landes!
Knapp eine Woche später: Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom (52) trifft am gestrigen Montag vor die Medien. «Wir müssen einen Schritt zurück machen», sagt er mit ernster Miene. Und es kommt knüppeldick: Newsom versetzt seinen Bundesstaat quasi zwei Monate in die Vergangenheit zurück – in den Total-Lockdown. Bedeutet: Bars und Kinos müssen schliessen. In 30 Bezirken, darunter Los Angeles, müssen auch Fitnessstudios, Kirchen und Einkaufszentren ihren Betrieb wieder einstellen. Lediglich Restaurants dürfen geöffnet bleiben. Allerdings nur, wenn sie ihre Gäste in einem Aussenbereich bewirten können.
Corona-Rekord in Florida: «Haben alle Gewehre am Anschlag»
Das gleiche Bild in Florida: Der Bundesstaat an der amerikanischen Ostküste hatte zu Beginn der Pandemie relativ tiefe Fallzahlen verzeichnet. Trotz des Spring-Break-Debakels in Miami blieb die Corona-Kurve flach. Auch als Ende April der republikanische Gouverneur Ron DeSantis (41) den Lockdown aufweichte, hielt sich das Rentnerparadies im Süden der USA wacker.
Doch wie auch in Kalifornien nahmen die Corona-Fälle im Monat Juni rasant zu. Und spätestens seit Juli ist die Lage in Florida dramatisch: Über 15'000 Neuinfektionen vermeldete der Bundesstaat am Montag – so viele wie nie zuvor! In den vergangenen zwei Wochen schoss die Anzahl Personen, die ein Beatmungsgerät benötigten, um 112 Prozent in die Höhe. Gouverneur DeSantis, der vor Wochen noch Zuversicht verbreitete, sieht sich nun in der Rolle des Krisenmanagers wieder. Auch er hat bereits einige Lockerungsschritte rückgängig gemacht.
«Wir haben hier alle Gewehre am Anschlag», sagte er am Montag auf einer Pressekonferenz. Man fokussiere sich derzeit darauf, genügend Personal im Gesundheitswesen aufzubieten. Dann wird der Auftritt des Republikaners jäh unterbrochen. Ein Mann steht plötzlich auf und schreit DeSantis an: «Sie tun nichts! Sie führen die Öffentlichkeit in die Irre! Über 4000 Menschen hier sind bereits gestorben!»
Trump drängt weiterhin auf Öffnung
Die Lage in den Südstaaten Amerikas ist angespannt. Doch im ganzen Land, mit Ausnahme von drei kleinen Bundesstaaten im Nordosten des Landes, nehmen die Corona-Fälle seit Wochen zu. Die USA verzeichnen mittlerweile rund 60'000 Neuinfektionen pro Tag. Auf einen landesweiten Pandemie-Plan aber warten die Bundesstaaten nach wie vor vergeblich.
Die Bundesregierung in Washington äussert sich seit Wochen sehr zurückhaltend. Präsident Donald Trump (74) wird nicht müde zu betonen, dass man sich auf einem «guten Weg» befände. Erst vergangene Woche sagte er, dass das Coronavirus irgendwann «einfach verschwinden» werde.
Dass sich der Präsident nun auch noch mit seinem Chef-Virologen Anthony Fauci (79) zerstritten hat, kommt zu einem äusserst ungünstigen Zeitpunkt. Beobachter sind nämlich überzeugt, dass es dem Team um Fauci anzurechnen ist, dass der Präsidenten im Frühling für einige Wochen dem Rat der Wissenschaft gefolgt ist. Trump stand Ende März und im April auch öffentlich für den Lockdown ein. Mittlerweile will er die Wirtschaft aber wieder in Gang bringen und drängt die Bundessaaten auf eine vollständige Öffnung – trotz steigender Corona-Zahlen.
«Wenn wir nichts unternehmen, haben wir bald 100'000 Neuinfektionen pro Tag», hat Anthony Fauci bei einer Senatsanhörung vor zwei Wochen gesagt. Wenn sich die Tendenz in Kalifornien, Florida und Co. fortsetzt, könnten die USA diese Marke noch im Sommer erreichen.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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