BLICK erlebt vor Ort die Enttäuschung der Separatisten in Barcelona
«Es ist wie ein emotionaler Coitus interruptus»

Nach der Rede von Katalanen-Präsident Carles Puigdemont ist die Stimmung in Barcelona gedämpft. BLICK hörte sich vor Ort um.
Publiziert: 11.10.2017 um 00:08 Uhr
|
Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:18 Uhr
1/5
«Wir kämpfen seit Jahren. Und jetzt geht es nicht weiter.» Maria (27) mit Ursula und Ariadna (beide 20, v. r.)
Foto: Michael Sahli
Michael Sahli, Barcelona

Als Katalanen-Präsident ‎Carles Puigdemont (54) um 19.13 Uhr endlich vor die Bevölkerung tritt, bricht auf dem Passeig de Lluis Companys frenetischer Jubel aus. Tausende Separatisten haben sich vor dem Regionalparlament in Barcelona versammelt, ausgerüstet mit Bier und Flaggen. Es herrscht Volksfeststimmung. Sie sind sich sicher: «Heute wird Geschichte geschrieben.» Proklamieren lauthals: «Independencia!» – Unabhängigkeit! Am Ende der Rede ist von Aufbruchstimmung nicht mehr viel übrig. Einige, die eben noch gejubelt haben, pfeifen sogar. Eine Frau weint. Viele verlassen den Platz.

«Warum sollen die Spanier jetzt verhandeln?»

Puigdemont will die Unabhängigkeit vertagen. «Es ist wie ein emotionaler Coitus interruptus», fasst Separatist Andoni (57) die Stimmung zusammen. «Zuerst verkündet er die Unabhängigkeit, nur um drei Sätze später alles wieder zu relativieren.» Dazu kommt: «Zum Verhandeln braucht es immer zwei. Warum sollen die Spanier jetzt verhandeln? Die würden uns doch am liebsten den Kopf einschlagen. Wie früher unter Franco!»

«Ich habe geglaubt, er würde es durchziehen. Selber hätte ich lieber eine echte Lösung gehabt», sagt die 18-jährige Júlia nach der Rede.

Nach dem ersten Schock verlageren sich die Diskussionen in die Bars. «Ich habe geweint», erzählt Maria (27). «Wir kämpfen seit Jahren. Und jetzt geht nichts weiter.» Auch ihre Freundin Ariadna (20) ist unzufrieden: «Es ist schon sehr enttäuschend.» Jusstudentin Ursula meint hingegen: «Es ist der intelligenteste Weg, sonst hätten die Spanier uns zwangsverheiratet.»

«Wie sollen wir mit den Spaniern nach all der Gewalt verhandeln?», fragt Aktivistin Luisa (47) – und bestellt noch ein Glas Wein.

Berenguer (28) ist etwas besonnener. «Wir müssen eben noch ein bisschen warten. Jemand von aussen müsste uns unterstützen, Merkel vielleicht», sagt er. «Wir sind Rückschläge gewohnt.»

Die Hoffnung bleibt bestehen

Am Schluss bleibt die Hoffnung: «Ich bin mir sicher, die Unabhängigkeit wird kommen. Ich vertraue unserem Präsidenten», meint Blanca (46). Und fügt trotzig an: «Ein Zurück gibt es nicht mehr. Ich fühle mich nicht als Spanierin.»

Trotz angespannter Lage: Die Stimmung bleibt bis Redaktionsschluss friedlich. Vereinzelt sind Sirenen zu hören. Einige Aktivisten beschimpfen die Polizei zwar als «Faschisten». Diese hält sich, im Gegensatz zum Tag des Referendums, aber zurück.

Die Gewinner des Abends sind Barcelonas Barbetreiber – während die Katalanen ihren Frust in Wein und Bier ertränken.

Alle aktuellen Entwicklungen in Katalonien gibts im News-Ticker.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?