Barcelona trotzt dem Terror
Das Leben ist zurück auf den Ramblas

Auf der Flaniermeile Barcelonas wimmelt es wieder. Die Menschen erobern die Ramblas zurück. Und doch ist zwei Tage nach dem Bluttat nichts mehr, wie es einmal war. Eine Reportage vor Ort.
Publiziert: 20.08.2017 um 20:01 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 02:35 Uhr
1/10
Als wäre nichts geschehen, wälzten sich gestern bereits wieder Touristenmassen über die Ramblas.
Foto: Williams Sands
Florian Blumer

Tag zwei nach der Bluttat. Die Samstagsausgabe der spanischen Tageszeitung «La Vanguardia» titelt: «Die Ramblas sind zurückerobert» und zeigt ein Meer von Köpfen. Luis Hernandez (54), dessen Kiosk heute wieder geöffnet hat wie die meisten Läden an der Touristenmeile: «Ich merke keinen Unterschied zu vorher.»

Kioskbesitzer Luis Hernandez (54):
Foto: Williams Sands

Und doch, für die Bewohner der katalanischen Metropole ist heute nichts wie «vorher». Viele, die sonst einen Bogen um die Buden und das Gedränge machen, pilgern zu den Stellen, an denen Menschen gestorben sind.

Nicht wenige sind auch aus anderen Teilen Kataloniens angereist. Sie schreiben Friedensbotschaften, legen Rosen nieder oder zünden Kerzen an. Einer von ihnen fragt auf Katalanisch einen Mann, der vor der Gedenkstätte niederkniet: «Waren unter den Opfern Freunde von dir?» Der Mann antwortet: «Sie sind alle meine Freunde.»

Sie sahen den Horror mit eigenen Augen

Mit Alexandra Emanuela (33) sprachen wir schon am Tag nach dem Anschlag. Sie leitet das Erotikmuseum an den Ramblas; der Kleinlaster raste direkt an der Tür vorbei. Emanuela ist noch immer tief ergriffen: «Es war wie im Horrorfilm!» Immer wieder kämpft sie mit den Tränen. «Es gibt Kraft, die Ramblas wieder so zu sehen», meint sie dann mit einem Blick auf die dicht bevölkerte Strasse, «das Herz Barcelonas», wie sie sagt.

Emanuela wollte ihr Museum um jeden Preis bereits am Tag danach wieder öffnen: «Um zu zeigen, dass wir stark sind, dass dies Barcelona ist!» Die Touristen erfüllen ihr diesen Wunsch und kommen auch heute in grosser Zahl. Dennoch: Zwischen Riesenpenissen und historischen Sexdarstellungen wirken alle an diesem Tag etwas deplatziert.

Drei von fünf Angestellten des Museums sind heute nicht erschienen. Sie fühlten sich schlicht nicht imstande. Die Leiterin trank gerade Kaffee im Büro, als der Terrorfahrer Menschen zermalmte. Ihre Angestellten sahen den Horror mit eigenen Augen.

Vorzeitig abreisen war für die meisten Touristen kein Thema

Die 14 Getöteten und mehr als 100 Verletzten waren mit wenigen Ausnahmen Touristen. Nach Angaben des städtischen Zivilschutzes stammen sie aus nicht weniger als 34 Nationen – Schweizer waren offenbar keine darunter. Die Katalanen spüren ein starkes Bedürfnis, der Welt zu zeigen: Wir trauern mit euch.

Die Touristen selbst zeigen sich erstaunlich unbeeindruckt. Corin Lang (24) aus Luzern ist mit ihrem Freund Cédéric Alessandri seit letzten Samstag in Barcelona. Eine Stunde vor dem Anschlag vom Donnerstag seien sie noch auf den Ramblas unterwegs gewesen. Auch heute sind sie wieder hier. Corin Lang sagt: «Am Morgen nach dem Anschlag war es sehr ruhig. Aber nach der Schweigeminute am Freitagmittag waren die Ramblas wieder voll mit Touristen wie zuvor.»

Die Touristen lassen sich nicht beeindrucken vom Anschlag. Früher abzureisen war für die meisten Besucher kein Thema.
Foto: Williams Sands

Vorzeitig abzureisen, war für die Luzerner kein Thema – wie für die meisten Besucher. Ob auf den Ramblas, in den Sightseeing-Bussen oder bei der Sagrada Familia, Antoni Gaudís berühmter Basilika: Von einem Einbruch der Besucherzahlen keine Spur.

Lebensader der katalanischen Hauptstadt

Barcelonas Tourismusminister, Agustí Colom, bestätigt diesen Eindruck gegenüber SonntagsBlick: «Wir haben viele Hotels und Reisebüros befragt. Und waren überrascht zu hören: Sie haben alle keine signifikante Zahl von Annullierungen.» Colom sagt auch: «Wir werden hart daran arbeiten, dass Barcelona eine Tourismusdestination und ein angenehmer Ort zum Leben bleibt. Wir werden den Terror bekämpfen und die öffentliche Sicherheit verbessern.»

Der Tourismus ist die ökonomische Lebensader der katalanischen Hauptstadt, die wie andere spanische Zentren mit einer hohen Arbeitslosigkeit kämpft.

In den letzten Monaten jedoch wurden auch Stimmen lauter, die vor einer Zerstörung der Stadt durch die Besuchermassen warnen, «Tourist go home» wurde auf Wände gesprayt. Nun hat die Stimmung gedreht: Barcelona bangt um seine wichtigste Einnahmequelle.

Die Touristen sorgen für Normalität

Schaut und hört man sich in diesen Tagen in der Stadt um, scheinen diese Befürchtungen völlig unbegründet. Welche Auswirkungen die Terrorfahrt der islamistischen Attentäter mittelfristig haben wird, muss sich aber erst noch zeigen.

Die Touristen sorgen bereits in den ersten Tagen nach dem Schock wieder für so etwas wie Normalität. Viele Einheimische sind dankbar dafür.
Foto: Williams Sands

Viele Einheimische sind heute einfach dankbar, dass die Touristen bereits in den ersten Tagen nach dem Schock wieder für so etwas wie Normalität sorgen.

Manche zeigen sich auch irritiert. Abdoulaye Salady, Rezeptionist im Hotel Praktik Rambla hat zwei der Toten gekannt, einen 57-jährigen Mann und dessen dreijährigen Grossneffen. Sie stammten aus seinem Dorf unweit von Barcelona. Salady betont, wie wichtig der Tourismus für Barcelona ist, und er ermutigt seine Gäste schon beim Einchecken, den Aufenthalt trotz allem zu geniessen. Auch er wünscht sich sehnlichst die Normalität wieder herbei. Aber dann fügt er doch hinzu: «Es ging ein bisschen schnell.»

Schweizer Auswanderer geben sich unbeugsam

Es war ein Schweizer Auswanderer, der den FC Barcelona vor 118 Jahren gegründet hatte. Und noch heute ist die Stadt Lebensmittelpunkt vieler Schweizer. Rund 4500 Auswanderer leben in der ­Metropolregion, schätzt Bruno Wiget (50). Der Marketing-­Dozent ist Präsident des Schweizerklubs in Barcelona und lebt seit 13 Jahren in der Stadt.

Wiget war zusammen mit seiner Frau an einem Strassenfest nicht weit von den Ramblas entfernt, als es zum Attentat kam. Von Kollegen, die sich besorgt nach ihm erkundigten, erfuhr er von der Tragödie.

Grosser Zusammenhalt und Stolz

Das Attentat habe die sonst so konfliktbeladene Region geeint, sagt Wiget. Er spüre in diesen Tagen einen grossen Zusammenhalt und auch Stolz unter den Bewohnern Barcelonas. «Wir sagen uns: Jetzt erst recht!»

Eindruck hat dem Schweizer Auswanderer zudem die Arbeit der Sicherheitskräfte gemacht. Wiget: «Sie verhielten sich hoch professionell, was bei ihrem Lohn und den Arbeitsbedingungen keine Selbstverständlichkeit ist!»

Es war ein Schweizer Auswanderer, der den FC Barcelona vor 118 Jahren gegründet hatte. Und noch heute ist die Stadt Lebensmittelpunkt vieler Schweizer. Rund 4500 Auswanderer leben in der ­Metropolregion, schätzt Bruno Wiget (50). Der Marketing-­Dozent ist Präsident des Schweizerklubs in Barcelona und lebt seit 13 Jahren in der Stadt.

Wiget war zusammen mit seiner Frau an einem Strassenfest nicht weit von den Ramblas entfernt, als es zum Attentat kam. Von Kollegen, die sich besorgt nach ihm erkundigten, erfuhr er von der Tragödie.

Grosser Zusammenhalt und Stolz

Das Attentat habe die sonst so konfliktbeladene Region geeint, sagt Wiget. Er spüre in diesen Tagen einen grossen Zusammenhalt und auch Stolz unter den Bewohnern Barcelonas. «Wir sagen uns: Jetzt erst recht!»

Eindruck hat dem Schweizer Auswanderer zudem die Arbeit der Sicherheitskräfte gemacht. Wiget: «Sie verhielten sich hoch professionell, was bei ihrem Lohn und den Arbeitsbedingungen keine Selbstverständlichkeit ist!»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Polizei durchsucht das Haus eines Imams

Noch ist unklar, wo und wie sich die jungen Attentäter von Spanien radikalisiert haben. Eine Spur führt jetzt zu einem Imam, dessen Haus die Polizei am Samstagmorgen in der Stadt Ripoll nördlich von Barcelona durchsucht hat. Laut einem Bericht der Zeitung «El País» vermuten die Sicherheitskräfte, dass der muslimische Geistliche bei einer Explosion in Alcanar ums Leben gekommen ist, als er an einer Bombe bastelte. Derweil zeichnet sich ab, dass auch der Messerangriff im finnischen Turku mit zwei Toten ein Anschlag war. Täter: ein 18-jähriger Marokkaner.

Noch ist unklar, wo und wie sich die jungen Attentäter von Spanien radikalisiert haben. Eine Spur führt jetzt zu einem Imam, dessen Haus die Polizei am Samstagmorgen in der Stadt Ripoll nördlich von Barcelona durchsucht hat. Laut einem Bericht der Zeitung «El País» vermuten die Sicherheitskräfte, dass der muslimische Geistliche bei einer Explosion in Alcanar ums Leben gekommen ist, als er an einer Bombe bastelte. Derweil zeichnet sich ab, dass auch der Messerangriff im finnischen Turku mit zwei Toten ein Anschlag war. Täter: ein 18-jähriger Marokkaner.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?