Tausende protestierten letzten Montag auf dem Lafayette Square, dem Platz vor dem Weissen Haus in Washington D.C. Wie ein Mantra skandierten die Demonstranten den Namen von George Floyd (†46). Immer und immer wieder. Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners wühlt das Land auf.
«Hände hoch, nicht schiessen!», riefen die Leute Polizisten in Kampfmontur entgegen. Doch die Beamten rückten vor, schossen Gummischrot und Tränengas auf flüchtende Menschen. Ein australisches TV-Team wurde von einem Polizisten verprügelt. Der Angriff ging live auf Sendung.
Minuten später lächelte Donald Trump in die Kameras und spazierte mit seinen engsten Vertrauten zu St. John’s. Die legendäre Kirche gegenüber dem Weissen Haus liegt genau dort, wo die Demonstranten Minuten zuvor mit Gewalt vertrieben worden waren. Vor dem Gotteshaus hielt Trump eine Bibel in die Höhe – und schwieg.
Die Szene wirkte grotesk. Und dürfte weit über den Tag hinaus in Erinnerung bleiben. Ein US-Präsident, der friedliche Menschen für einen Wahlkampf-Fototermin aus dem Weg prügeln lässt.
Zurück bleibt Entrüstung. Es ist, als hätte nicht nur ein Polizist in Minneapolis sein Knie auf den Hals von George Floyd gedrückt, sondern Donald Trump auch seines auf die Kehle des amerikanischen Volkes. «We can’t breathe!»
Ex-General John Allen, der einst die Nato-Truppen in Afghanistan kommandierte und den «Islamischen Staat» bekämpfte, kommentierte nach Trumps Auftritt vor der Kirche: «Es ist gut möglich, dass das Abrutschen der USA in den Illiberalismus am 1.Juni begonnen hat.»
Und Mariann Edgar Budde, Bischöfin der Episkopalkirche in Washington: «Ohne uns zu fragen, missbraucht der Präsident eine Bibel und eine Kirche in meiner Diözese für eine Botschaft, die im Widerspruch zu den Lehren Jesu steht.»
Seit zwei Wochen toben die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt nun schon. In vielen Metropolen kam es zu Krawallen, wie sie das Land zuletzt 1968 erlebt hat – nach der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King.
Trump droht Demonstranten mit Militär
Und Trump? Der flirtet mit Autoritarismus. Keine versöhnliche Rede, kein Eingeständnis, dass vieles falsch läuft. Stattdessen droht er mit Militär, giesst weiter Öl ins Feuer.
Als der republikanische Senator Tom Cotton mit Blick auf die Proteste twitterte: «Wir können ja ausprobieren, wie es den Antifa-Terroristen schmeckt, wenn sie der 101. Luftlandedivision gegenüberstehen», teilte Trump den Tweet mit seinen 82 Millionen Followern und schrieb: «100% Correct. Thank you Tom!»
Spalter Trump: Der Präsident liefert die Fortsetzung seiner langjährigen Politik. In Amerikas Vorstädten fristet die Unterschicht ein Leben ohne soziale Sicherheit. Den Luxus einer Versicherung oder einer Krankenkasse können sich dort nur die wenigsten leisten. Mangels öffentlichen Verkehrs ist auch das Prekariat aufs Auto angewiesen. Wer aber einen Unfall baut, einen Wasserschaden im Keller hat oder einen Beinbruch behandeln lassen muss, steht schnell vor dem finanziellen Ruin.
In Kombination mit dem freizügigen Zugang zu Schusswaffen ergibt dieses Leben am Rande der Existenz eine hochexplosive Mischung.
Präsident Barack Obama wollte diese Misere lindern – seine Mission war es, den einfachen Leuten den Zugang zur Krankenversicherung zu ermöglichen.
Doch sein Nachfolger Donald Trump liess von Anfang an nichts unversucht, um «Obamacare» zu beseitigen: Was immer der Chancengleichheit dient, hat bei den Republikanern den Ruch des Sozialismus. Jetzt sollen die letzten Reste des Gesetzeswerks eliminiert werden.
Dafür fand mit Trumps Steuerreform eine massive Umverteilung von unten nach oben statt – die heutigen Proteste sind daher auch Proteste gegen die immer tieferen sozialen und ökonomischen Gräben in Amerikas Gesellschaft.
Trump hat ein Ziel vor Augen: seine Wiederwahl im November. Dafür ist der US-Präsident offenbar bereit, die ohnehin fragil gewordene gesellschaftliche Stabilität im Land zu opfern. Insofern geht es bei den Unruhen längst nicht mehr nur um rassistische Polizisten. Es geht darum, wer in den USA das Sagen hat. Die Demonstranten stellen die Machtfrage. Und Trump antwortet.
Schaden die Proteste Trumps Wahlchancen?
Er tut so, als hätte er alles unter Kontrolle, spielt den starken Mann. Doch die erst in den letzten Tagen errichteten Schutzzäune rund um das Weisse Haus sind unübersehbar. Die Kontrolle ist ihm entglitten. Dennoch versucht Trump weiterhin ungerührt, die Protestwelle für seinen Wahlkampf zu nutzen.
Der Präsident wolle um jeden Preis eine Diskussion über Rassismus vermeiden, sagt der Politologieprofessor T. J. Pempel von der Universität von Kalifornien zu SonntagsBlick. Stattdessen setze Trump auf die erzkonservative Formel «Recht und Ordnung».
Ob sein Kalkül aufgeht? Fraglich. In einer Befragung von «Reuters» zeigten sich nur gerade 39 Prozent der Amerikaner zufrieden mit Trumps Antwort auf die Proteste.
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
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