Carola Rackete (31) ist kein Fan der leisen Töne. Die Seenotretterin rechnete am Donnerstagmorgen schonungslos mit der EU-Migrationspolitik ab – und das genau dort, wo ihre Adressaten sitzen: im EU-Parlament in Brüssel.
Die 31-Jährige berichtete von Einsätzen auf dem Mittelmeer, bei denen ihr Schiff von im Wasser treibenden Leichen umgeben war. Dennoch «ist nichts so schlimm gewesen wie die Erfahrung mit der Sea Watch 3»: Nach 17 Tagen auf dem überfüllten Schiff «musste ich das Einlaufen in den italienischen Hafen erzwingen», wo sie «wie mit der Pest an Bord» empfangen worden seien, berichtete sie.
Für ihre Aktion wurde Rackete festgenommen
In ihrer Ansprache sparte Rackete nicht an Kritik an der EU und ihren Mitgliedstaaten. Die deutsche Kapitänin warf den europäischen Politikern vor, ihre humanitäre Verantwortung in Krisenstaaten wie Libyen zu «externalisieren». Es liege eine «Rechtsverdrehung» vor, wenn Seenotretter kriminalisiert würden, während sich die Behörden um ihre Verantwortung drückten.
Rackete hatte Ende Juni für Aufsehen gesorgt, als sie mit ihrem Schiff Sea-Watch 3 mit 40 Flüchtlingen an Bord trotz ausdrücklichen Verbotes des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini (46) den Hafen der Mittelmeerinsel Lampedusa angelaufen hatte. Rackete war daraufhin vorläufig festgenommen worden. Wenige Tage später kam sie frei, das Verfahren gegen sie läuft noch.
Standing Ovations für Kapitänin Rackete im EU-Parlament
Für ihren Auftritt im EU-Parlament erhielt Rackete viel Zuspruch. Die Mitglieder des Innenausschusses der europäischen Volksvertretung zollten der 31-Jährigen am Donnerstag Anerkennung für ihr Engagement bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer und applaudierten ausgiebig.
Die Mehrheit der Mitglieder des Parlamentsausschusses unterstützte Rackete in ihrer Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Bei rechten EU-Abgeordneten stiess ihr Auftritt jedoch auf heftige Ablehnung.
Als Kapitänin eines NGO-Schiffs sei sie «Teil eines kriminellen Netzwerks», warf ihr der belgische Abgeordnete Tom Vandendriessche vor. «Deshalb sollten Sie nicht hier sein, sondern in einer Gefängniszelle», fügte der Abgeordnete des rechtsextremen Vlaams Belang hinzu.
Flüchtlinge sollen gerechter verteilt werden
Rackete und einige Parlamentarier wiederholten ihre Forderung nach einer staatlichen Rettungsmission der EU im Mittelmeer. Dies scheitert bislang an der Frage nach der Verteilung der Flüchtlinge.
Die Innenminister von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta hatten sich vergangene Woche auf einen vorläufigen Verteilungsmechanismus von Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer verständigt.
Die Einigung muss noch finalisiert werden, dies wird bei einem Treffen aller EU-Innenminister am kommenden Dienstag in Luxemburg angestrebt. Bislang ist nicht klar, welche EU-Staaten tatsächlich bereit wären, in diesem Rahmen Flüchtlinge aufzunehmen. Auch wäre eine derartige Einigung nur eine zeitlich und geographisch begrenzte Übergangslösung, bis das derzeitige Asylsystem der EU, das sogenannte Dublin-Verfahren, überarbeitet werden kann. (SDA/kin)