Ständeratskommission will Arbeitnehmerschutz lockern
Keine Höchstarbeitszeit mehr für Chefs?

Für einen Teil der Arbeitnehmenden soll der Arbeitnehmerschutz gelockert werden: Sie sollen nach Jahresarbeitszeitmodell arbeiten – ohne wöchentliche Höchstarbeitszeit.
Publiziert: 15.02.2019 um 11:35 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2019 um 12:19 Uhr

Die ständerätliche Wirtschaftskommission (WAK) bricht eine Lanze für das Jahresarbeitszeitmodell – und will so den Unternehmen entgegenkommen. Die Lockerung der Arbeitszeit-Regeln könnte gemäss einer Auswertung der Schweizer Arbeitskräfteerhebung für rund 1,4 Millionen Personen oder bis zu 38 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gelten!

Von den Neuerungen betroffen wären Mitarbeiter mit einer Vorgesetztenfunktion sowie «Fachpersonen, die über wesentliche Entscheidbefugnisse in ihrem Fachgebiet verfügen». Sie sollen nach Jahresarbeitszeitmodell arbeiten – ohne wöchentliche Höchstarbeitszeit.

Kommission sieht trotz Kritik Handlungsbedarf

Gegen die Lockerung des Arbeitnehmerschutzes regt sich bereits grosser Widerstand. Das ist sich auch der Solothurner Ständerat Pirmin Bischof (CVP, 59) bewusst, der heute in Bern vor den Medien über den Entscheid seiner Kommission informierte. Trotz der Kritik und des «nicht gerade berauschenden» Ergebnisses einer ersten Vernehmlassung sehe man jedoch Handlungsbedarf. Mit 10 zu 3 Stimmen habe die Kommission daher einen Gesetzesentwurf angenommen.

Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative des Luzerner CVP-Ständerates Konrad Graber (60) zurück. Die WAK nahm sie ohne Änderungen an, behält sich aber vor, nach der Stellungnahme des Bundesrates noch Korrekturen vorzunehmen.

Stand heute wäre vorgesehen, dass die Arbeitgeber die Betroffenen künftig einem Jahresarbeitszeitmodell unterstellen könnten. Damit fiele für sie die gesetzlich festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit weg.

Im Jahresdurchschnitt dürften jedoch höchstens 45 Stunden pro Woche gearbeitet werden, und per Ende Jahr dürften maximal 170 Mehrstunden resultieren. Diese wären mit einem Zuschlag von 25 Prozent auszuzahlen oder im Folgejahr zu kompensieren.

Gelockert werden sollen auch die Bestimmungen zur Ruhezeit. Diese könnte mehrmals in der Woche bis auf neun Stunden herabgesetzt werden, sofern die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von vier Wochen eingehalten wird. Für Sonntagsarbeit wäre keine Bewilligung erforderlich, wenn der Arbeitnehmer die Sonntagsarbeit nach eigenem freiem Ermessen erbringt.

Heute beträgt die Höchstarbeitszeit je nach Branche 45 oder 50 Stunden. Für bestimmte Betriebe und Arbeitnehmer kann sie zeitweise um höchstens vier Stunden verlängert werden. Die Ruhezeit kann heute einmal in der Woche von elf auf acht Stunden herabgesetzt werden, sofern die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten wird.

Eine weitere Änderung geht in Vernehmlassung

Die Kommission hatte einen zweiten Entwurf in die Vernehmlassung geschickt, der auf eine parlamentarische Initiative der früheren St. Galler FDP-Ständerätin und heutigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter zurückgeht. Dieser sieht vor, dass der Arbeitgeber für die gleichen Gruppen von Arbeitnehmern auf die Erfassung der Arbeits- und Ruhezeit verzichten kann.

Damit würde eine Lockerung erweitert, die 2016 in Kraft getreten ist. Gemäss dieser entfällt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitnehmende, die einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind, der dies vorsieht, sofern sie mehr als 120'000 Franken pro Jahr verdienen.

Die WAK will erst später entscheiden, ob sie an einer weiteren Lockerung festhält. Sie will die laufende Evaluation des Staatssekretariats für Wirtschaft zur Umsetzung der geltenden Verordnung abwarten. Das Ergebnis soll im Herbst vorliegen.

Vernehmlassungsbilanz ist mager

In der Vernehmlassung sind beide Entwürfe der Kommission schlecht angekommen, insbesondere bei den Kantonen. Keine der kantonalen Behörden sprach sich ohne Vorbehalte für beide Entwürfe aus. Dem Entwurf «Graber» stimmten nur gerade vier Kantone zu.

Von den Parteien sprachen sich FDP, SVP und GLP für beide Vorlagen aus, SP und Grüne lehnten beide ab. Die CVP stimmte mit Änderungswünschen zu. Die Arbeitgeberorganisationen unterstützen die Vorlagen in den Grundzügen, die Arbeitnehmerorganisationen lehnen sie ab. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund droht bereits mit einem Referendum.

Aus Sicht der Gegnerinnen und Gegner ist das geltende Recht genügend flexibel. Im internationalen Vergleich seien die Arbeitszeiten in der Schweiz bereits lang, argumentieren sie. Die Änderungen hätten negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmer.

Die Kantone befürchten erschwerte Bedingungen für den Vollzug und stellen die Praktikabilität in Frage. Der Gesetzesentwurf enthalte viele unklare Begriffe, welche keiner juristischen oder statistischen Kategorie entsprächen – etwa der Begriff «Fachpersonen». Auch sei unklar, was mit «wesentlichen Entscheidbefugnissen» gemeint sei. (sda/awi)

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