«Es gibt keine Beweise, dass die Serben-Mafia nicht involviert war», sagt der Verteidiger von Reto D.* (31), dem Haupttäter der beiden Tötungsdelikte im Mordfall Boppelsen vor dem Zürcher Obergericht. «Es gibt ansonsten kein Motiv, das stark genug wäre für einen Mord. Mein Mandant wurde von einer kriminellen Organisation zu den Taten getrieben», sagt der Berner Anwalt Werner Meyer vor dem Obergericht.
Der Transportunternehmer aus Utzigen BE ist wegen zweifachen Mordes sowie einer ganzen Reihe weiterer Delikte angeklagt. Er hatte im Jahr 2016 zwei Männer getötet, indem er ihnen Mund und Nase mit Klebeband zuklebte und sie qualvoll ersticken liess.
Mit der Theorie der Serben-Mafia beginnt der Verteidiger von Reto D. sein Plädoyer. Er wählt diese Taktik, obwohl weder Polizei, noch irgendwelche Zeugen oder Videoaufnahmen den Einfluss einer kriminellen Organisation belegen. Das Bezirksgericht Bülach ZH hat in erster Instanz die Schilderungen der Serben-Mafia als Schutzbehauptung eingestuft. Der Anwalt stützt sich in Sachen Mafia ausschliesslich auf die Schilderungen seines Mandanten.
«Ein hochanständiger Kerl»
Anwalt Werner Meyer sagt, dass sein Mandant seit Jahren in prekären finanziellen Verhältnissen lebe, und trotzdem nie gewalttätig geworden sei. «Es muss 2016 ein anderer Auslöser da gewesen sein», sagt er. «Es ist ein riesiger Kontrast zwischen dem hochanständigen Kerl und den zwei abscheulichen Tötungsdelikten.» Das könne hier nur die Konstellation sein, dass Reto D. einer kriminellen Organisation gegenüberstand. «Er ist unter dem hohen Druck völlig aus der Spur geraten», sagt Anwalt Meyer.
In seinem Plädoyer greift der Verteidiger die Staatsanwältin an. Sie hätte die Drohbriefe nicht in den Prozess einbringen dürfen, sagt er. Er droht sogar mit einem Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung. Die Staatsanwältin hatte am Vortag aus Drohbriefen vorgelesen, die Reto D. im Gefängnis erhalten hatte. Sie waren voll mit Drohungen, Folter- und Tötungsfantasien. Die Staatsanwältin hegt den Verdacht, dass er sich die Briefe selbst geschickt hatte.
Anschlag auf Mutter von Reto D.
Der Anwalt weist diese Vorwürfe als bizarr zurück. «Mein Mandant hat Anzeige gemacht. Er ist über die Inhalte erschüttert. Er liebt seine Kinder, er würde nie so etwas schreiben.» Er vermutet, dass auch hier die Mafia hinter den Drohbriefen steckt. Auf die Mutter sei sogar ein konkreter Anschlag erfolgt. Nach einem Unfall mit dem Elektro-Rollstuhl habe die Polizei Hinweise auf Sabotage gefunden, sagt Verteidiger Meyer.
Der Anwalt fordert für seinen Mandanten massiv mildere Strafen, als das Bezirksgericht Bülach verhängt hatte. Er begründet: «Reto B. hat nicht aus eigenem Willen getötet. Er wurde dazu von der Serben-Mafia genötigt. Er war unter grosser seelischer Belastung und in einem seelischen Ausnahmezustand. Die Mafia drohte, Familienmitglieder attackieren.»
Kein Mord
Für das Töten des Lastwagenbesitzers plädiert Anwalt Meyer auf vorsätzliche Tötung statt auf Mord. Für die Tötung des ehemaligen Schulkollegen und langjährigen Kumpels plädiert der Anwalt auf Totschlag. In beiden Fällen habe die serbische Mafia direkte Anweisungen gegeben. Mord sei nicht haltbar. Auch für die restlichen Delikte verlangt er mildere Strafen. Insgesamt kommt der Anwalt auf eine Strafe von höchstens 13,5 Jahren. Die Staatsanwältin forderte am Dienstag zusätzlich zu lebenslänglich die Verwahrung.
Die Plädoyers der Anwälte der Noch-Ehefrau Sonja D.* (31) und des Garagisten Loris O.* (38) haben im Kern den gleichen Inhalt. Die Oberrichterin und den Oberrichter davon zu Überzeugen, dass sie an den beiden Morden nicht wesentlich beteiligt waren. Weder an der Planung, noch an der Ausführung.
Ehefrau soll ahnungslos gewesen sein
Für die Ehefrau des Haupttäters fordert ihr Verteidiger eine Strafe von fünfeinhalb Jahren. Sonja D. habe weder von den Mordabsichten ihres Mannes gewusst, noch habe sie sich an der Entsorgung der Leiche beteiligt. Sie sei also einzig für Raub, Freiheitsberaubung und Entführung zur Verantwortung zu ziehen. Die Staatsanwältin forderte am Vortag für die junge Mutter eine lebenslange Haftstrafe für die Mittäterschaft zum Mord.
Anwalt kritisiert Alter der Staatsanwältin
Ivo Harb (53), der Zürcher Anwalt des Komplizen des Haupttäters Loris O., griff die Staatsanwältin auf einer sehr persönlichen Ebene an. Er kritisierte den riesigen Aufwand bei den Ermittlungen und bezeichnete die Anklageschrift als fehlerhaft. Er sagt in seinem Plädoyer: «Man hätte vielleicht eine erfahrenere Staatsanwältin für den Fall einsetzen sollen.» Für seinen Mandanten forderte Harb für die Mittäterschaft am Mord einen Freispruch und für Raub und Freiheitsberaubung eine entsprechende Bestrafung.
Die Staatsanwältin Corinne Kauf antwortete sogleich auf die Kritik an ihrer Arbeit: «Die Anschuldigungen sind unnötig und irreführend. Ich wurde auf hier eine primitive Art angegriffen. Sie haben offensichtlich keine stichhaltigen Argumente mehr für ihren Klienten.»
Wut gegen Staatsanwältin
Im Schlusswort zog Reto D. eine bizarre Show ab. Laut empörte er sich über die Verhöhnung der Opfer durch die Staatsanwältin und kritisierte ihre Beweismittelbeschaffung. Vermutlich sprach er da über die Drohbriefe, die er im Gefängnis erhalten hatte. Dann wäre er selber eines der erwähnten Opfer. Die Staatsanwältin liess seinen Computer konfiszieren, weil sie ihn verdächtigte, Briefe mit brutalen Tötungsfantasien seiner Kinder sich selber geschrieben zu haben. Wie sie während dem Prozess antönte, seien die Ermittlungen dazu auf gutem Weg.
Dann betonte Reto D., dass die Haft bei ihm bereits viel bewirkt habe. Er werde die Taten nie mehr wiederholen. Dass er nicht therapierbar sei, das sei eine Lüge. Er flehte: «Gebt mir eine zweite Chance. Gebt mit eine Strafe, um auf den richtigen Weg zu kommen und wieder ein normales Leben führen kann.» Er bereue täglich, was er den Opferfamilien angetan habe. «Ich entschuldige mich jetzt erneut.»
*Name geändert