«Allô, bonjour!» ("Hallo, guten Tag") - so meldet sich Marie-Line Le Gourrierec in der Telefonkabine der kleinen elsässischen Gemeinde Murbach. Zuvor hat es in der unscheinbaren Kabine am Rande des Dorfparkplatzes unablässig geklingelt.
«Ah, Sie rufen aus Nantes an», sagt Le Gourrierec, die in den Vogesen Urlaub macht. «Kommen Sie ins Elsass, es ist schön, und es gibt viel zu sehen», empfiehlt die Westfranzösin und verabschiedet sich. Danach vermerkt sie den Anruf mit Uhrzeit in einem abgegriffenen Schulheft, das ist der Kabine ausliegt.
Seitdem das französische Magazin «Paris Match» im vergangenen Monat berichtete, die Murbacher Telefonkabine mit der Seriennummer 468 sei die letzte ihrer Art im Land, wird es in der Kabine kaum noch still. Das sechseckige Telekommunikationsrelikt, dessen Türen fehlen, wurde zu einer Touristenattraktion.
Gelegentlich nehmen Anwohnerinnen oder Besucher den blauen Hörer ab
Feste Regeln gibt es in der abgeschiedenen Kommune in der Nähe von Guebwiller im Département Haut-Rhin nicht. «Jeder kann antworten. Und dann fragt man, woher diese Leute anrufen, und man schreibt ihren Namen auf», berichtet Anwohnerin Marie-Claude König. «Wir finden das total étonnant (erstaunlich)», sagt die Elsässerin mit Blick auf den Rummel.
Die Gemeinde kann zu dem raren Objekt mit Retro-Charme nicht viel sagen. Man wisse noch nicht einmal, wann die Zelle vom damaligen nationalen Telekomunternehmen France Télécom aufgestellt wurde, heisst es aus dem Rathaus.
Ein Sprecher des Nachfolgekonzerns Orange bestätigt der deutschen Nachrichtenagentur DPA, dass Murbach in der Tat die letzte noch funktionierende Kabine im ganzen Land hat. Daneben gebe es noch zwei weitere «Publiphones», also öffentliche Telefone, beispielsweise in einem Rathaus. Aber eben nicht in einer Zelle. An den zusammen drei verbliebenen Geräten könne man nicht mehr bezahlen. «Es ist nur noch möglich, einen Anruf entgegenzunehmen.»
Eigentlich ist Murbach unweit zur Grenze zu Baden-Württemberg für seine mächtige Abtei aus dem Mittelalter bekannt. Inzwischen werde vom örtlichen Touristenführer auch auf die neue Attraktion des Dorfes mit rund 170 Bewohnerinnen und Bewohnern hingewiesen, also die Telefonzelle, berichtet Besucherin Le Gourrierec. Die Gemeinde liegt in einem Gebiet, das in Frankreich schlicht «Zone blanche» ("weisse Zone") genannt wird. Eine Mobilfunkverbindung ist also je nach Standort schlecht oder gar nicht möglich.
«Also, ich finde es megaskurril», meint die deutsche Touristin Renate Gebhard. Sie kam auch für die Abtei nach Murbach und entdeckte dabei die klingelnde Telefonzelle. «Ich habe jetzt gedacht, in bin irgendwie im falschen Film.»
Die kuriose Zelle löste inzwischen in vielen Medien und sozialen Netzwerken Interesse aus. Im zerfledderten Anrufheft auf der Ablage stehen Namen aus Frankreich, Belgien, der Schweiz, der französischen Karibikinsel Guadeloupe und Kanada.