Der Kanton Aargau will in Windisch AG eine Unterkunft für rund 100 Personen eröffnen. Der Eigentümer der Liegenschaft hat gemäss Angaben des Gemeinderats Windisch den bisherigen 49 Mietenden der drei Liegenschaften per Ende Juni gekündigt.
Eine davon ist Julia Adams (39). Die Naturwissenschaftlerin lebt mit Ehemann Michael (42) und den drei Kindern Finja (3), Johannes (6) und Norina (8) in einer der betroffenen Wohnungen. «Die Kündigung haben wir Mitte der letzten Woche bekommen. Wir waren geschockt. Unsere Kinder waren dabei, als der Brief kam. Alle haben geweint.»
In der Kündigung wurde keine Begründung angegeben. «Was mit dem Gebäude geplant ist, habe ich aus der Zeitung erfahren. Unsere Hoffnung ist, dass wir die Kündigung hinauszögern können. Die Frage ist aber, ob man überhaupt bleiben möchte, wenn so schlecht mit einem umgegangen wird», so Adams. Dabei spielt der neue Zweck der Liegenschaft keine grosse Rolle. Im Gegenteil. «Ich bin ein Mensch, der gerne teilt. Hier fühle ich mich aber verarscht. Die gesetzte Frist ist wahnsinnig kurz, speziell für eine Familie mit schulpflichtigen Kindern.»
Gemeinderat wehrt sich «vehement»
Weder der Gemeinderat noch die Gemeindeverwaltung seien vorher über den Vollzug dieser Kündigungen in Kenntnis gesetzt worden, heisst es in einer Mitteilung der Gemeindekanzlei.
Die Gemeinde habe den Kanton bereits bei einer Besprechung am 17. Februar darauf hingewiesen, dass man es nicht akzeptiere, «wenn für die Unterbringungen von Asylsuchenden Mieterinnen und Mieter auf die Strasse» gestellt würden.
Die Kündigung ausgesprochen hat laut SRF die private Firma «1drittel Aleph AG», mit Sitz in Wollerau im Kanton Schwyz.
Der Gemeinderat wehrt sich nach eigenen Angaben «vehement gegen den Rauswurf seiner Einwohnerinnen und Einwohner aus ihren Wohnungen». Gerade für Personen, die bereits in einer finanziell angespannten Situation seien, werde es schwierig bis unmöglich sein, Wohnraum im niedrigen Preissegment zu finden, hiess es in der Stellungnahme weiter.
«Ich befürchte, auf der Strasse zu landen.»
So geht es auch dem Bewohner und Sozialhilfeempfänger Björn Waltert (32): «Ich suche, seit wir die Kündigung erhalten haben, überall nach Wohnungen. Ich bin preislich eingeschränkt und durch meinen Hund wird die Suche noch schwieriger.»
«Es ist eine Frechheit. Man ist gleichzeitig wütend und traurig. Es ist ein Gefühlschaos. Alleine im letzten Jahr bin ich dreimal umgezogen. Ich dachte wirklich, ich hätte jetzt endlich ein Zuhause gefunden», zeigt sich Waltert konsterniert. «Traumhaft wäre, wenn wir alle bleiben könnten. Die Gemeinde setzt sich sehr für uns ein, wie ich gehört habe.» Wie es weitergeht, weiss Waltert nicht: «Ich befürchte sogar, dass ich auf der Strasse landen könnte.»
Ähnlich sorgenvoll äussert sich der Gemeinderat in seiner Stellungnahme: «Dass der Kanton nun so weit geht, dass sogar bewohnte Liegenschaften angemietet werden, im Wissen, dass dafür Mieterinnen und Mieter gekündigt werden muss, löst beim Gemeinderat grosses Befremden aus. Von Zurückhaltung und Verhältnismässigkeit ist in diesem Fall nichts zu spüren.» Der Gemeinderat erwarte vom Kanton, dass dieser auf die Miete der betroffenen Liegenschaften verzichte.
Kanton hält sich bedeckt
Das Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau teilte am Montagabend auf Anfrage mit, dass es um eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften gehe, deren Sanierung in nächster Zeit bevorstehe und nicht um eine Beschlagnahmung.
Der Kantonale Sozialdienst (KSD) habe am Mittwoch einen Brief des Gemeinderats Windisch erhalten. Der KSD werde den Brief in den nächsten Tagen beantworten. Die bestehenden Differenzen wolle der KSD «nicht über die Medien austragen». Nach der Zustellung des Briefs an den Gemeinderat Windisch werde der KSD auch die Öffentlichkeit über den Inhalt des Briefs orientieren.
«Problem wird einfach verlagert»
Gegenüber Blick äussert sich Heidi Ammon (63), Gemeindepräsidentin von Windisch, konkreter: «Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man solche Kündigungen ausspricht.» Der Mietvertrag zwischen Eigentümer und Kanton wurde auf drei Jahre festgelegt. Bereits wird in der Gemeinde darüber spekuliert, ob es nach Ablauf des Mietvertrags einen Neubau an gleicher Stelle geben soll. «Wir gehen davon aus, dass die geplante Asylunterkunft eine Zwischenlösung ist», so Ammon. Die betroffenen Immobilien seien aktuell nicht in einem Zustand, in dem sie noch jahrelang bewohnt werden könnten. Auf diese Weise verschaffe man sich Zeit, ein Baugesuch vorzubereiten. «Ich wünsche mir, dass der Kanton alles nochmals überdenkt und die Mieter hier wohnen bleiben können», so SVP-Politikerin Ammon.
Auch bei Luzia Capanni (45), SP-Einwohnerrätin in Windisch, lösen die Kündigungen Empörung aus. «Die Mieterinnen und Mieter, denen gekündigt wurde, werden es nicht leicht haben, neuen kostengünstigen Wohnraum zu finden», sagt sie. Gelinge es ihnen nicht, so ist die Gemeinde für sie zuständig. «Dadurch wird das Problem einfach verlagert. Das geht nicht!» Sie übt zudem Kritik an der Kommunikation zwischen Kanton und Gemeinde.
Capanni betont aber: «Es ist nicht so, dass sich Windisch foutiert, Geflüchtete aufzunehmen. In unserer Gemeinde gibt es bereits zwei kantonale Asylunterkünfte», sagt sie. Eine mit aktuell 20 unbegleiteten Minderjährigen sowie eine mit jungen Erwachsenen, hinzu kämen viele Ukrainerinnen und Ukrainer. «Des Weiteren stellt das Bundesasylzentrum in Brugg auch für Windisch eine Belastung dar. Der Kanton unterstützt die Gemeinde nicht.»
Auch in der Zürcher Gemeinde Seegräben muss ein Mieter weichen. Wie Blick berichtete, hat André Steiner (47) seine Wohnung, die der Gemeinde gehört, per Ende Mai zu räumen. Seegräben will dort Asylsuchende unterbringen.
Der Gemeindepräsident Marco Pezzatti (53) argumentierte, Seegräben müsse Platz schaffen für Asylsuchende, die die Gemeinde aufnehmen müsse. Doch Nachfragen in Seegräben zeigen, dass man auf Vorrat hin Platz schafft und der Kanton Zürich von der Gemeinde momentan gar nicht verlangt, dass sie mehr Betten zur Verfügung stellt.
Dies räumt die Gemeinde sogar ein. Seegräben erfülle aktuell die Vorgaben des Kantons. Man erklärt aber: «Festzuhalten ist, dass die Quotenerfüllung Schwankungen unterliegt. So führen Statusänderungen oder die Aufenthaltsdauer von über sieben Jahren dazu, dass die betreffenden Personen aus dem Kontingent fallen.» Das werde in Seegräben der Fall sein. Entsprechend bleibe der Druck bestehen, Wohnraum zu finden – oder aktiv zu schaffen. (lha/pt)
Auch in der Zürcher Gemeinde Seegräben muss ein Mieter weichen. Wie Blick berichtete, hat André Steiner (47) seine Wohnung, die der Gemeinde gehört, per Ende Mai zu räumen. Seegräben will dort Asylsuchende unterbringen.
Der Gemeindepräsident Marco Pezzatti (53) argumentierte, Seegräben müsse Platz schaffen für Asylsuchende, die die Gemeinde aufnehmen müsse. Doch Nachfragen in Seegräben zeigen, dass man auf Vorrat hin Platz schafft und der Kanton Zürich von der Gemeinde momentan gar nicht verlangt, dass sie mehr Betten zur Verfügung stellt.
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