«Wir stecken immer noch in der Schwarzenbach-Falle»
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Überfremdungsinitiative:«Wir stecken immer noch in der Schwarzenbach-Falle»

50 Jahre Überfremdungsinitiative
«Wir stecken immer noch in der Schwarzenbach-Falle»

Auf den Tag genau vor 50 Jahren stimmte die Schweiz über die Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach ab. Sie wurde abgelehnt. Doch die Angst vor Überfremdung ist geblieben.
Publiziert: 06.06.2020 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 22.06.2020 um 20:48 Uhr
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Nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten protestieren Amerikaner aller Hautfarben gemeinsam gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Foto: AFP
Danny Schlumpf und Sven Ziegler

Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten protestieren Amerikaner ­aller Hautfarben gegen Rassismus und Polizeigewalt. Nun schwappt die Protestwelle über den Atlantik. Auch hierzulande gehen Menschen auf die Strasse.

«Das ist etwas Gutes», sagt Mbene Mwambene (35). «Doch die Solidarität kann auch verdecken, was in der Schweiz passiert.» Der malawische Künstler lebt in Zürich. Für ihn gehört Rassismus zum Alltag. «Auf der Strasse, im Zug, im Tram.»

Der Logistiker Okbaab Tesfamariam (36) gibt ihm recht. «Auch in der Schweiz spielt die Hautfarbe eine zentrale Rolle», sagt der Sprecher des Eritreischen Medienbundes. Für seine 40'000 Landsleute hier sei Rassismus ein allgegen­wärtiges Thema. Das grösste Problem sind willkür­liche Zuschreibungen: «Es gibt ein fest verwurzeltes Bild von uns: Alle Eritreer sind Nichtsnutze, Kriminelle, Vergewaltiger. Mit der Realität hat das nichts zu tun.»

Rassisstische Energie gegen Volksgruppen

Das ist nichts Neues. Immer wieder konzentrierte sich die rassistische Energie auf Volksgruppen, die man politisch instrumentalisierte: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Juden, nach dem Zweiten Weltkrieg Italiener, dann Tamilen, schliesslich Ex-­Jugoslawen. Das sei bei den Eritreern nicht anders, sagt Okbaab Tesfamariam. «Das rassistische Bild des verbrecherischen Eritreers wird unglücklicherweise auch von einer grossen Schweizer Partei für ihre Zwecke eingesetzt.»

Die Eidgenossenschaft sei nun mal kein Sonderfall, sagt Kijan Espahangizi (41), Historiker an ETH und Uni Zürich. Im Gegensatz zu den USA sei der Unterschied zwischen Weiss und Schwarz aber nicht entscheidend: «Zentrale Achse des Rassismus in der Schweiz ist die Einwanderungsfrage. Wer gilt als Schweizer, wer wird als Ausländer wahrgenommen? Das ist der Punkt.»

Diese Debatte erreichte auf den Tag genau vor 50Jahren einen Höhepunkt: Damals stimmte die Schweiz über die von James Schwarzenbach (1911–1994) eingebrachte Überfremdungs-Initiative ab.

Furcht vor Überfremdung

Dem Anführer der «Nationalen Aktion gegen Überfremdung von Volk und H­eimat» gelang damit 1967 der Sprung ins Parlament. Damals erreichte die seit dem Zweiten Weltkrieg ansteigende Zuwanderung ihren Höhepunkt. Die Furcht vor Überfremdung wuchs mit. «Schwarzenbach hat diese Ängste aufgegriffen und radikalisiert», sagt Christian Koller (48), Direktor des Schweizerischen ­Sozialarchivs.

Schwarzenbachs Forderung: Mit Ausnahme von Genf dürfe es in keinem Kanton mehr als zehn Prozent Ausländer geben. 400'000 hätten bei Annahme der Initiative das Land verlassen müssen. «Hetze gegen Ausländer war damals in Europa nicht po­pulär», sagt der Historiker Jakob Tanner (69). «Die Schweiz übernahm in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle.» Nach einem emotionalen Abstimmungskampf jedoch lehnten die Stimmbürger die Initiative mit 54 zu 46 Prozent ab.

«Rassistische Elemente» in Masseneinwanderungs-Initiative

Es folgten weitere Ver­suche, eine Ausländerquote festzuschreiben. Doch erst die Masseneinwanderungs-Initiative 2014 fand eine Mehrheit. «In der herabsetzenden Wahrnehmung von Ausländern hatte sie rassistische Elemente», sagt Jakob Tanner.

Das gelte auch für die Begrenzungs-Initiative, über die im Herbst abgestimmt wird. Christian Koller vom Sozialarchiv: «Das Thema bleibt virulent. Heute steckt es in den Debatten über Personenfrei­zügig­keit und Einbürgerungsverfahren.»

Genau darin liege eines der bedeutendsten Probleme der ­modernen Schweiz überhaupt, sagt Kijan Espahangizi. Er macht es an einer Zahl fest: 25 Prozent beträgt der Ausländeranteil in der Schweiz. «Ein Viertel der permanenten Wohnbevölkerung hat hier keine Bürgerrechte, oft sogar einen un­sicheren Aufenthaltsstatus.» Für viele sei das offenbar kein Problem.

«Impliziter Rassismus»

«Und da liegt der Knackpunkt.» Das Zustandekommen dieser Zahl habe auch etwas mit Rassismus zu tun. «Diejenigen, die über die Einbürgerungen bestimmen, entscheiden darüber, wer ins Bild passt und wer nicht. Wir wissen aber: Wer aufgrund von Herkunft, äusseren Merkmalen, Religion zu fremd wirkt, hat es schwieriger. Hier kommt impli­ziter ­Rassismus ins Spiel.» Für Historiker Espahangizi ist deshalb klar: «Wir stecken noch immer in der Schwarzenbach-Sackgasse.»

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Der Rassismusbericht des Vereins Humanrights.ch und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus nennt für das vergangene Jahr 352 gemeldete Fälle rassistischer Diskriminierung. «Das ist nur die Spitze des Eisbergs», sagt Gina Vega von Humanrights.ch. «Die Dunkelziffer ist hoch.»

Racial Profiling

Ein Sechstel dieser Fälle betrifft Racial Profiling – Polizeikontrollen aufgrund der äusseren Erscheinung. Der Malawier Mbene Mwambene hat gleich mehrere solcher Überprüfungen erlebt. Die Begründung habe immer gleich gelautet: «Schwarze tragen häufiger Drogen auf sich.» Nach der letzten Kontrolle tauchten Polizisten mit einem Durchsuchungsbefehl in seiner Wohnung auf. Sie fanden nichts.

Als Mwambene später den Polizeirapport sehen wollte, war der nicht mehr auffindbar. «Rassistisches Profiling ist auch in der Schweiz ein grosses Pro­blem», sagt Claudia Wilopo (31), Mitglied der Forschungsgruppe Racial Profiling.

Neuralgische Punkte des Drogenhandels

Johanna Bundi Ryser (57) ist Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizei­beamter. Sie sagt: «Wenn die Polizei Kontrollen an neuralgischen Punkten des Drogenhandels in grossen Städten durchführt, kann es vorkommen, dass aufgrund der Verdachtsmomente möglicherweise auch dunkel­häutige Personen kontrolliert werden.»

Sie betont aber, dass die Themen Racial Profiling und Polizeigewalt in den Reihen des Verbands und bei den Polizeikorps sehr präsent seien: «Die Aus­bildung wird laufend angepasst.» Polizisten, die sich nicht korrekt verhielten, hätten mit Konsequenzen zu rechnen.

Darauf hofft auch Mbene Mwambene. Er wünscht sich, dass die Schweizer genauer hinsehen. «Dass man mich als Menschen sieht», sagt er. «Und nicht als Verbrecher.»

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