112 Mio für Walliser Gemeinde
Jetzt ist der Dorf-Frieden im Eimer

350 Millionen Franken erhielten die Gemeinden im Unterwalliser Trient-Tal. Der Geldsegen vergiftet das Dorfleben und verleitet zu unsinnigen Investitionen – diese Geschichte soll sich nicht wiederholen.
Publiziert: 10.04.2016 um 17:51 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 10:00 Uhr
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Didier Lugon-Moulin am Trient-Ufer – der Fluss spült Millionen in die Kassen der Gemeinden.
Foto: Isabelle Favre
Cyrill Pinto

Es ist eine Herkulesaufgabe für die Organisatoren der 17. Tour-de-France-Etappe: Zwischen 50'000 und 100'000 Zuschauer werden erwartet. Ein Tross mit über 2500 Fahrern, Betreuern und Journalisten wird sich am 20. Juli 2016 über den Forclaz-Pass zum Unterwalliser Dörfchen Finhaut zwängen. Die Zieleinfahrt wird auf der Mauer des Emosson-Stausees sein – auf knapp 2000 Metern Höhe. Die Begleitfahrzeuge können deshalb dort nicht einfach wenden: Sie werden einfach weiterfahren, durch einen riesigen Baustellentunnel für das in Bau stehende Pumpspeicherkraftwerk Nant de Dranse. «Wie bei James Bond!», zeigte sich Tour-Chef Christian Prudhomme (55) kürzlich bei einem Besuch vor Ort entzückt.

Die Veloverrückten Co-Präsidenten der Etappe Emosson-Finhaut, Cédric Revaz (44) und Alain Gay des Combes (40), haben sich mit dem diesjährigen Tourstopp in ihrer Heimatgemeinde einen Bubentraum erfüllt. 400'000 Franken liess sich die Gemeinde das Unterfangen kosten und hat zudem eine Defizitgarantie gesprochen. Insgesamt kostet die 17. Etappe der Tour, die erstmals auf ausländischem Boden ausgetragen wird, zwei Millionen Franken.

Die 450-Seelen-Gemeinde Finhaut könnte locker die ganzen Kosten für die Etappe übernehmen. Denn sie ist reich, steinreich: 112 Millionen Franken schwer ist sie. Geld, das die Gemeinde 2010 einem neuen Vertrag zur Nutzung der Wasserkraft mit den SBB verdankt. 33 Millionen wurden bereits ausgeschüttet. Der Rest folgt gestaffelt in den nächsten Jahren. Seither steht das Dorf kopf: «Die Leute schmeissen das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster», kritisiert der Vizepräsident der Gemeinde, Didier Lugon-Moulin (52). In den letzten Jahren investierte Finhaut 4,5 Millionen in ein neues Generationenhaus, steckte über fünf Millionen in eine marode Standseilbahn, erneuerte das Gemeindehaus, den Bahnhof und die Kirche – allein dafür wurden zwölf Millionen ausgegeben. Im Sitzungsraum des Gemeinderats hängt ein neuer Beamer an der Decke, die Leinwand dazu lässt sich automatisch herunterfahren. Die Türklinken sind mit hellem Leder und Messing eingefasst.

«Klima ist vergiftet»

Vize Lugon-Moulin wollte diese Politik der Verschwendung stoppen. «Wir müssen in Arbeitsplätze investieren, in Dinge, die einen Ertrag abwerfen. Und uns überlegen, was wir langfristig wollen», sagt er. Dafür gründete er die Gruppe «Avenir Finhaut». Drei Sitze holte sie bei den letzten Wahlen im fünfköpfigen Gemeinderat – die Mehrheit. Doch ein Avenir-Mitglied lief nach den Wahlen zum anderen Lager über. 

«Das Klima hier ist vergiftet, es geht ein tiefer Graben durch das Dorf», sagt ein Passant. Im Dorf spricht man nicht gerne über die Millionen. «Egal, was man sagt, es ist immer falsch», meint eine Frau. Denn: «Alle kennen sich, die meisten sind mit­einander verwandt.»

Nicht nur Finhaut erhielt Millionen: Insgesamt schütteten die SBB für ihr Nutzungsrecht ab 2011 350 Millionen aus, aufgeteilt auf den jeweiligen Anteil am Wasser der sieben Gemeinden im Trient-Tal. Der ehemalige Präsident von Salvan, Pierre-Angel Piasenta (61), hatte den Preis für die Konzession in über zehnjährigen Verhandlungen von 100 Millionen nach oben getrieben. Aus dem erfolgreichen Verhandlungspoker erhielten die Gemeinden Finhaut und Salvan den Löwenanteil. Piasenta will nicht darüber urteilen, wie die Gemeinden heute mit dem von ihm erstrittenen Geld umgehen, sagt aber: «Letzten Endes sind Politiker immer Leute, die für ihren Verbleib im Amt kämpfen.»

Die kleine Gemeinde Trient mit ihren 150 Einwohnern bekam immerhin rund zehn Millionen. Hier geht man mit dem Geld sparsamer um. Zwar wurden ebenfalls 2,5 Millionen in neue Wohnungen gesteckt, welche die Gemeinde jetzt vermietet. Doch die übrigen acht Millionen legte sie an. «Männer geben das Geld aus, Frauen sparen es», sagt Gemeindepräsidentin Aloïse Balzan (65) mit einem Lachen.

Eigentum statt Geld

Die Geschichte des Vallée du Trient könnte sich wiederholen: In den nächsten 30 Jahren laufen die Konzessionen für rund 40 weitere Kraftwerke im ganzen Kanton Wallis aus. Die Politik bemüht sich, eine andere Lösung zu finden, wie der Walliser Staatsrat Jean-Michel Cina (52) erklärt: «Das Beispiel der Konzessionserneuerung im Vallée du Trient hat dazu beigetragen, dass der Kanton Wallis nun in langjähriger Arbeit ein neues Gesetz zur Heimfallregelung ausgearbeitet hat.» Künftig sollen rund 60 Prozent der Kraftwerksanteile an die öffentliche Hand gehen – 30 Prozent an die Gemeinden, 30 Prozent an den Kanton. Statt einfach die Millionen für die Erneuerung der Konzession zu kassieren, wird die Öffentlichkeit selbst zur Haupteigentümerin. Die Vorlage wird demnächst im Walliser Grossen Rat verhandelt.

Cina kennt die Promotoren hinter der Tour-de-France-Etappe nach Finhaut. Er sagt: «Sie leisten grossartige Arbeit.» Und fügt hinzu: «Klar braucht es dafür auch das nötige Kleingeld.»

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