Friedrich Dürrenmatt ist diese Woche auf die Welt gekommen. Gut, am 5. Januar vor hundert Jahren. Und ja, der Schweizer Schriftsteller ist seit über dreissig Jahren tot. Aber sein Werk wirkt putzmunter, in manchen Teilen frischer und erfrischender als das seines ewigen Kontrahenten Max Frisch (1911–1991).
«Es ist Unterhaltung, es ist anregend, es ist bereichernd, es ist verspielt, es ist lebendig, es ist modern», sagt Dürrenmatts heutiger Verleger, Diogenes-Geschäftsleiter Philipp Keel (52). «Es ist, als hätte jemand vorausgesehen, wie komisch unsere Welt gerade spielt.»
Dürrenmatt ist der Schriftsteller der Stunde. In seinen Grotesken kontert er einstürzende Welten mit ausprustenden Lachsalven. Damit lässt er uns die momentanen Irrungen und Wirrungen besser ertragen: Das globale Gelächter wirkt wie eine befreiende Katharsis, der Erdball steigt auf wie Phönix aus der Asche.
Nirgendwo zeigt sich das besser als in Dürrenmatts letztem Roman «Durcheinandertal» aus dem Jahr 1989, der nur schon im Titel eine aktuelle Zustandsbeschreibung zu sein scheint. «Durcheinandertal» ist nicht sein bestes Buch. Und auch wenn es darin nicht um eine Pandemie geht, so enthält es doch Sätze, die dem Heute entstammen könnten.
Eine Kostprobe gefällig? «Die Dorfbewohner fühlten sich durch den Einsatz der Armee gedemütigt, vom Kanton im Stich gelassen, wie Unrat, den man dorthin bringt, wos stinkt, in den hintersten Winkel der Welt, und dann liegen lässt.» Klingt das nicht ein bisschen wie während des Lockdowns irgendwo in den Alpen?
«Langsam begriffen sie, dass kein Personal da war, dass sie sich allein helfen mussten, dass sie in die Armut gestürzt waren.» Und dann die ewigen Spannungen zwischen Politikern verschiedener Ebenen: «Der Gemeindepräsident blieb stur. Er lief (…) von einem Nationalrat im Kanton zum andern und sogar zu den zwei Ständeräten, doch wollte ihm keiner helfen.»
«He nu», lässt Dürrenmatt den Gemeindepräsidenten einmal zu Wort kommen, «sinniert haben wir eben miteinander, warum der liebe Gott so ungerecht ist, ob er überhaupt ein lieber Gott ist (…).» Eine Frage, die Friedrich Dürrenmatt zeitlebens umtreibt. Doch eines weiss er bestimmt und macht es gleich zu Beginn von «Durcheinandertal» klar: «Der Gott ohne Bart hatte Humor.»
Und so endet der apokalyptische Roman auch fröhlich: «Vor dem Haus des Gemeindepräsidenten lag der Hund, neben ihm stand Elsi. Sie schaute auf den brennenden Wald, auf die lodernde Feuerwand jenseits der Schlucht, welche die Bewohner des Dorfes verschlungen hatte und noch verschlang. Sie lächelte. Weihnachten, flüsterte sie. Das Kind hüpfte vor Freude in ihrem Bauch.»
Jedem Tod steht eine Geburt gegenüber, auf jedes Ende folgt ein Anfang. Diese optimistische Weltsicht Dürrenmatts ist heute wichtiger denn je. Und er hat diese Umkehr von Omega zu Alpha praktisch vorgelebt: Im Dezember betrauerten wir noch seinen dreissigsten Todestag, und jetzt im Januar feiern wir seinen hundertsten Geburtstag.