Es gibt diese apokalyptischen Momente im Leben. Vor 13 Jahren widerfuhr mir einer. Nach einem tiefen, bleiernen Schlaf erwachte ich an einem Montagmorgen erst um zehn Uhr. Wie Nebel hing mir die Nacht noch im Gesicht, als ich das Treppenhaus runterschlurfte. Da vernahm ich ein seltsames Glucksen. Im Parterre angekommen, stand im Eingang das Wasser einen Meter tief. Vor der Türe fand sich keine Strasse mehr, sondern ein reissender Fluss.
Ich hatte den Hochwasser-Alarm verschlafen, der in der Nacht das gesamte Quartier aus den Federn riss. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, dass die Welt untergegangen sei – und ich der letzte Überlebende.
Leiche im 16. Stock?
Kürzlich erlebte ich wieder so einen apokalyptischen Moment, zumindest einen Hauch davon. Ich trat in mein Atelier ein, es liegt im 16. Stock eines Hochhauses, im ehemaligen Swisscom Tower nahe Bern. Die Scheibe war verdunkelt. Ein Schwarm von 300 bis 400 Fliegen surrte am Fenster. Zunächst vermutete ich, gleich auf eine Leiche zu stossen.
Ich tat, was ich in solchen Situationen immer tue: Professor Christian Kropf fragen, meine Vertrauensperson für übersinnliche und andere Begegnungen mit wirbellosen Tieren. Er konnte mich beruhigen. Es handelte sich bei der Fliegeninvasion nicht um Vorboten des Weltuntergangs, sondern um das Hill-Topping-Phänomen. Die Herbstfliege (Musca autumnalis), auch Stall- oder Augenfliege genannt, zieht es im Herbst an sonnengewärmte Fassaden von höher liegenden Gebäuden. Durch Pheromone ziehen sie ihre Artgenossen an und überwintern in Ritzen. Manchmal gelingt es ihnen auch, ins Innere des Hauses einzudringen, wie in meinem Fall.
Nervtötend auf den Weiden
Schon die letzte Kolumne widmete ich der Fliege, der Stubenfliege. Aus aktuellem Anlass gibts daher das Fliegensequel. Äusserlich ähnelt die Herbstfliege ihrer häuslicheren Kollegin. Die Herbstfliege verbringt den Sommer aber vor allem auf Rinder- und Pferdeweiden, als Nervtöterin, die dem bemitleidenswerten Vieh stets in die Augen zu fliegen versucht. Die Weibchen ernähren sich nämlich von schleimigen Sekreten aus Augen, Nase und Maul der Weidetiere sowie von Blut aus offenen Wunden. Die Männchen dagegen ernähren sich mehrheitlich vegan, aus dem Nektar von Blüten.
Das nenne ich einen erfrischenden Umgang mit Rollenbildern.
Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, ihr letztes Album heisst «Itz mau Apokalypse». Jäggi arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Prof. Christian Kropf.