Was bleibt von dieser Fussball-WM aus Schweizer Sicht? Ein packendes Spiel gegen Serbien, ein ernüchterndes Ausscheiden – und der Doppeladler. Ich mag keinen Nationalismus, sei es kosovarischen, serbischen oder eidgenössischen. Aber aus biologischer Sicht betrachtet kann man mit Fug und Recht behaupten: Die Doppeladler-Geste ist durchaus schweizerisch.
Der Steinadler fühlt sich nämlich vögeliwohl in der Schweiz. Es ist der einzige heimische Adler. Der Fischadler ist ein regelmässiger Durchzügler, andere Arten sind bloss seltene Winter- oder Irrgäste. Die Bestände des Steinadlers haben sich bestens erholt, nachdem diese rücksichtslos dezimiert wurden – allerdings als einzige grosse Beutegreifer in der Schweiz überlebten (anders als Bär, Luchs, Wolf und Bartgeier).
Vogelexperten sehen inzwischen in den Alpen kaum noch Ausbreitungsmöglichkeiten. Die Brutplätze sind fast alle belegt. Einzig im Jura gibt es noch Potenzial. Die Schweizer Population macht immerhin sechs Prozent aller Steinadler in den Alpen aus. Die Grenzen für den Steinadler setzen vor allem die Beutetiere und ihre Scheu vor den Menschen.
Die hiesigen Adler ernähren sich grösstenteils von Murmeltieren – bis zu 70 Prozent machen sie im Speiseplan aus. Weiter erbeuten sie junges Schalenwild, vor allem Gämsen. In tieferen Lagen machen sie auch Jagd auf Füchse, Hühner und Hauskatzen. Auch der Hund meines Arbeitskollegen wurde bei einer Wanderung von einem Steinadler attackiert. Der König der Lüfte tötet seine Beute übrigens nicht mit dem Schnabel, sondern mit den Krallen, die bis sechs Zentimeter lang sind. Es wurden aber auch schon Angreifer beobachtet, die grössere Beute aus der Luft fallen liessen, um sie zu überwältigen.
Über ein gemeinhin akzeptiertes Nationaltier verfügt die Schweiz nicht. In Anbetracht der starken Bauernlobby im Parlament müsste es das Hausrind sein. Mentalitätsmässig würde am ehesten das Murmeltier zu uns passen. Aber auch der Steinadler stünde uns gut an: Er kommt nämlich von der Algarve bis nach Kamtschatka vor, ebenso in den USA. Er ist so multikulti wie unsere Nationalmannschaft. Nur im Abschluss deutlich gefährlicher.
Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Dr. Manuel Schweizer.