Hat Sie die Fussball-WM glücklich hinterlassen? Wladimir Putin grinste sich im Final zufrieden in sein eisernes Fäustchen, und ich war wohl nicht der einzige Fussballliebhaber, der endgültig angewidert war von diesem Event.
Zum Glück gibt es die Natur, die widert mich nie an. Und vielleicht ist es auch lohnenswerter, statt des Pragmatiker-Balletts auf dem Rasen sich blaue Schönlinge auf Magerwiesen anzuschauen. Die Rede ist von Bläulingen, einer besonders hübschen Familie der Schmetterlinge, die ihren Namen wegen der blau gefärbten Oberseite der Männchen trägt.
In Europa kommen mehr als 100 Arten der kleinen Tagfalter vor. Viele von ihnen sind hochspezialisiert – ihre Raupen ernähren sich beispielsweise nur von einer Pflanzenart. Verschwinden ihre kleinen Lebensräume, sterben auch die Schmetterlinge. Fast alle hiesigen Arten gelten als gefährdet.
Bündner Spezialität
Einer der interessantesten Bläulinge, welche die Schweiz zu bieten hat, trägt nicht einmal einen deutschen Namen: Polyommatus escheri. Wer bei Wikipedia nachschlägt, wird erfahren, dass er in Südeuropa und in Marokko vorkommt. Er fliegt aber auch nördlich der Alpen – in einer räumlich sehr begrenzten Wärmeinsel rund um Thusis im Kanton Graubünden. Die nächste Population findet sich im Oberwallis, einen Austausch gibt es nicht – die meisten Bläulinge leben stationär. Die Falter im Bündnerland sind ein Relikt aus einer erdgeschichtlichen Phase, als das Klima wärmer war. Sie werden als Unterart betrachtet, diese kommt nur hierzulande vor, was man als endemisch bezeichnet. Die Schweiz kennt wenige endemische Tiere und trägt für diese eine besondere Verantwortung.
Schmetterlinge im Bau
Wie alle Bläulinge verbündet sich Polyommatus escheri mit Ameisen. Einige Verwandte wenden dabei eine ausgefuchste Taktik an: Ameisen verwechseln die Raupen mit eigenen Larven und ziehen diese in ihrem Bau auf. Quasi als Gegenleistung geben die Raupen einen zuckerhaltigen Saft ab, an dem sich die Ameisen gütlich tun. Die Ameisen trommeln dabei auf den Hinterleib der Schmetterlingsraupe, was diese animiert, ihren Sirup zu spenden.
Wenn der Schmetterling schlüpft, fliegt sein Vabanquespiel auf – fluchtartig muss er den Bau verlassen. Er wird sich dabei ähnlich fühlen wie die vier Pussy-Riot-Flitzerinnen im WM-Final.
Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK über Tiere. Wissenschaftlicher Rat: Hans-Peter Wymann.