Die Freidenker wollen den Artikel 261 aus dem Schweizer Strafgesetzbuch streichen, der «böswillige» und «gemeine» Handlungen gegen die Religion verbietet. Der Artikel 261 ist gedacht als Schutz vor Diskriminierung aufgrund des persönlichen Glaubens.
Er stammt aus einer Zeit der konfessionellen Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken, als der Gesetzgeber ein besonderes Augenmerk darauf legen musste, dass die Konfessionen sich die Freiheit des Glaubens lassen, dass sie sich nicht gegenseitig verhöhnen oder die Kultusfreiheit des anderen beschneiden.
Nein zur Gesinnungspolizei
Der Artikel 261 ist aber heute nicht mehr nötig, da gebe ich den Freidenkern recht. Der Staat schützt die Bürgerinnen und Bürger ausreichend gegen Diskriminierung, Beschneidung der Religionsfreiheit oder ehrverletzende Äusserungen.
Abgesehen davon lehne ich es grundsätzlich ab, dass der Staat die Kompetenz haben soll, «gemeine» oder «böswillige» Handlungen juristisch zu definieren und zu ahnden. Der Staat als Polizei über meine Gesinnungen? Nein. Den Gesetzgeber gehen meine guten oder bösen, meine kuschelig lieben oder gemeinen Gefühle nichts an. Der Staat soll die Grundrechte garantieren und Leute bestrafen, die zur Gewalt aufrufen.
Intolerante Toleranzapostel
Es ist nicht nötig, dass sich Gerichte um meine religiösen Gefühle sorgen. Religiöse Gefühle dürfen nicht zur Einschränkung der Meinungsfreiheit führen, auch nicht im Fall von besonders fiesen oder geschmacklosen Karikaturen und Satirikern. Wenn die katholische Kirche mal wieder als «Kinderficker-Sekte» bezeichnet oder von religionsverachtenden, intoleranten Toleranzaposteln als grösste Dummheit des Denkens dargestellt wird, dann schaue ich einfach eine Folge von «House of Cards», und schon geht es mir besser.
Herzschrittmacher der Freiheit
Je vielfältiger und pluralistischer eine Gesellschaft wird, desto grösser werden die Toleranz-Zumutungen. Wer zu einer liberalen Gesellschaftsordnung steht, der lernt damit zu leben und hält die Meinungs- und Religionsfreiheit hoch, weil er weiss: Diese sind der Herzschrittmacher unserer individuellen Freiheitsräume. Ausserdem hat schon der Schriftsteller George Orwell (1903–1950) gesagt: «Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.»
Giuseppe Gracia (51) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein Buch «Das therapeutische Kalifat» ist erschienen im Fontis Verlag, Basel. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.