Greta Thunberg ist der erstaunlichste und nervigste Teenager unserer Zeit. Am 20. August 2018 setzte sie sich zum ersten Mal trotzig vor den Schwedischen Reichstag statt ins Klassenzimmer, vor sich das gebastelte Plakat «Schulstreik für das Klima». Nach knapp einem Jahr kennt jedes Kind und jeder Erwachsene dieses seltsame Mädchen. Und vor allem: Wofür sie steht, worum es geht, warum es so nicht weitergeht. Das ist eine bemerkenswerte Leistung, die nur Zyniker und Propagandisten kleinreden. Greta ist 16, sie bewegt Millionen.
Bis vor kurzem dachte man bei einem schwedischen Mädchen mit Zöpfen an Pippi Langstrumpf, Sommersprossen und die Villa Kunterbunt. Heute sieht man Greta, zittert vor dem Klimakollaps und träumt vom Minergie-Haus. Jede Epoche hat die Figuren, die sie verdient.
Erhellendes Ärgernis
Klar bietet sich die Klima-Ikone auch als Werbefigur an. Bevor sie nächste Woche in der Schweiz erwartet wird, setzen nun die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) mit Plakaten auf die Aktivistin und ihre Aura. Der Name Greta und zwei Zöpfe reichen – die Botschaft kommt so selbstverständlich an wie das Tram an der Endstation.
Seit Jahren machen die VBZ konstant originelle Werbung auf höchstem Niveau. Aber dieses Sujet ist ein Ärgernis. Immerhin ein erhellendes: Es bringt auf den Punkt, was einem an der Greta-Verehrung auf den aufgeklärten Geist geht.
Naturreligion verlangt Selbstkasteiung
So fulminant sie und ihre Entourage das Weltthema Klimawandel zugespitzt, personalisiert und dringlich gemacht haben – es wurde zugleich entweltlicht, entrationalisiert und mit nordischem Puritanismus zur Naturreligion erhoben. Flugscham ist das neue Sündenbekenntnis, Autofahren der Gaspedal-Ritt mit dem Teufel. Erlösung verspricht nur Selbstkasteiung, ewige Fastenzeit oder Ablasshandel durch CO2-Kompensation.
Die VBZ-Kampagne dreht an dieser Überhöhung mit. Die Benutzung eines vernünftigen und altbekannten Nahverkehrsmittels – die erste elektrische Strassenbahn fuhr 1894 durch Zürich – ist jetzt plötzlich ein Statement. Der unbescholtene Passagier wird in ideologische Geiselhaft genommen, das gewöhnliche Tram ist jetzt ein Greta-Mobil: Wer ein Billett löst, ist erlöst. Ist ein besserer Mensch. Gehört zu den Guten. An ihrem Heiligenschein sollt ihr die ÖV-Benutzer erkennen!
Über Wasser klimawandeln
Ich bin aber nicht Greta. Ich will bloss von A nach B. Ohne dass mir jemand das ABC der nachhaltig-korrekten Lebensführung auf die Stirn tätowiert. Ohne dass ich damit einen politischen Offenbarungseid ablege. Wenn ich mal statt nach Schwamendingen nach New York will, zum Beispiel, dann komme ich nicht um einen bösen Transatlantik-Flug herum. Die Allerwenigsten werden wie Greta auf eine emissionsfreie Hochseeyacht eingeladen und können zwei Wochen von ihren Ferien für die Anreise einsetzen. Und noch hat man niemanden über Wasser klimawandeln sehen.
Ich bin auch nicht ein bisschen Greta. Das kann man gar nicht sein. Greta Thunberg ist eine Extremistin. Sie ruft zum Widerstand auf, zur radikalen Umkehr, zu null Toleranz gegenüber Klimaverbrechern. Sie fordert, dass sofort und ratzeputz jeder Lebensbereich der Rettung des Planeten untergeordnet wird. Ein bisschen Fanatismus gibt es nicht. Ein bisschen Tramfahren hat nichts mit Greta zu tun.
Endstation «Apokalypse»
Alle wissen, dass vieles gegen den Klimawandel getan werden muss. Ganz viele tun auch was – ganz vernünftig. Ohne gleich dem Gretismus zu huldigen.
Also, geschätzte VBZ. Lasst mich in Frieden, bringt mich unbehelligt zur nächsten Haltestelle. Und lasst eure Werber nicht auf die Idee kommen, die Endstation meiner Linie in «Apokalypse» umzubenennen.