Thomas Meyer rät: Wie komme ich weg vom Alkohol?
Sie sind unglücklich

Ich (w) bin bald 40 und schaffe es nicht, nach einem Glas Wein «so, gut ist» zu sagen. Viele meiner Freunde auch nicht. Langsam habe ich den Alkohol aber satt. Was für eine Rausch-Alternative empfehlen Sie?
Publiziert: 13.06.2020 um 13:04 Uhr
Foto: Thomas Meier
Thomas Meyer

Indem Sie nach einer Rausch-Alternative fragen, legen Sie auch den Grund offen, warum es nie bei einem Glas bleibt: weil dieses die gewünschte Wirkung nicht im erforderlichen Ausmass entfaltet. Es geht Ihnen offenbar nicht um den Wein, sondern um den Alkohol darin. Die Frage, die Sie sich stellen müssen, ist also nicht: Was für Arten, sich von der Realität abzuwenden, gibt es noch? Sondern vielmehr: Was ist mein Anlass, mich überhaupt immer wieder abzuwenden? Die Antwort liegt nicht fern: Entweder ist man unglücklich im Beruf, unglücklich in der Beziehung oder unglücklich mit sich selbst, was meist einer Missbrauchsthematik in der Kindheit geschuldet ist. Das sind die Gründe, warum jemand zu viel trinkt. Weil er für ein paar Stunden vergessen kann, was ihn belastet.

Aber diese Pseudo-Therapie hat ihren Preis. Erstens ist sie hochgradig ungesund, und zweitens löst sie kein einziges Problem, sondern schafft noch ein zusätzliches: Man wird zusehends unwilliger, sich seinen Lebensaufgaben zu stellen, und entwickelt eine unheilige Geschicklichkeit darin, ihnen auszuweichen. Nun, da Sie vor Ihrem 40. Geburtstag stehen, erkennen Sie jedoch, dass Sie die Hälfte Ihres Lebens mehr oder weniger hinter sich haben und es an der Zeit ist, Verantwortung zu übernehmen. Für Ihren seelischen Zustand, für Ihr körperliches Wohlbefinden, für Ihre Karriere und Ihre Beziehungen, namentlich jene zu sich selbst. Klingt spiessig, ist es auch, aber ein Problem mit Spiessigkeit haben letztlich nur Spiesser. Alle anderen akzeptieren, dass sie keine 20 mehr sind, suchen sich Freunde, mit denen man vor allem nüchtern Spass haben kann, und schaffen Ordnung in ihrem Leben. Sie haben das Recht, glücklich zu sein. Ihr Alkoholkonsum zeigt lediglich, dass Sie davon noch nicht richtig Gebrauch machen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?