Er ist der schnellste Regierungschef des Universums: Am Dienstagabend kam die Einladung, am Donnerstagmittag stand Ueli Maurer bereits im Oval Office. Zum ersten Mal überhaupt wurde ein Schweizer Bundespräsident von seinem US-amerikanischen Amtskollegen ins Weisse Haus zum Vier-Augen-Gespräch gebeten. Und das auch noch mit allen Anzeichen der Dringlichkeit! Die historische Visite im Weissen Haus könnte zum Wendepunkt in unserem Selbstverständnis werden.
Wir sollten allmählich damit aufhören, uns selber kleinzureden!
Ökonomisch gilt die Schweiz längst als Grossmacht: Rang 20 auf der Liste der bedeutendsten Volkswirtschaften, Platz sieben auf jener der grössten Investoren in den USA.
Und nun wird die Schweiz auch politisch wieder wichtig.
Trump empfängt ja nicht einfach so den Präsidenten eines Kleinstaates. Die Schweiz ist ihm offensichtlich wichtig – was gewiss nicht allein mit einem denkbaren Freihandelsvertrag zusammenhängt. Wie wichtig Maurers Besuch war, zeigte auch das anschliessende Gespräch mit Sicherheitsberater John Bolton.
Der gilt als Mastermind hinter George W. Bushs Irak-Feldzug 2003 und ganz generell als Falke. Donald Trump hat ihn nicht umsonst zu seinem einflussreichsten Vertrauten gemacht. «Ist John Bolton der gefährlichste Mann der Welt?», fragt der «Guardian». Die beste Zeitung Grossbritanniens gibt gleich selbst die Antwort: Noch nie standen die USA in den letzten zwanzig Jahren so nah am Rand eines Krieges! Deshalb ist Bolton die entscheidende Figur in den Konflikten mit Iran und Venezuela, bei denen es jederzeit zum grossen Knall kommen kann.
Wieso will der Sicherheitsberater des US-Präsidenten ausgerechnet mit dem Schweizer Bundespräsidenten reden? Welche weltpolitischen Geheimnisse hat Bolton Maurer anvertraut? Was will die führende Weltmacht von uns?
In diesen Fragen liegt der Schlüssel zum Verständnis des Donnerstags-Treffens.
Gut möglich, dass Trump und Bolton daran interessiert sind, dass die Schweiz im Rahmen ihres Schutzmacht-Mandats die Kanäle zur iranischen Regierung offen hält, damit der Streit um Teherans Atomprogramm nicht zum grössten Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg führt.
Vermittlerdienste finden selbstverständlich hinter den Kulissen statt. Deshalb musste Maurer das Thema Iran an seiner Medienkonferenz herunterspielen («Wenn Sie vermuten, dass ich nur wegen des Iran hier war, liegen Sie falsch»). Vielleicht hat sein verstottertes Live-Interview auf CNN damit zu tun, dass er auf die Iran-Frage einfach nicht antworten durfte.
Bereits seit 1979 vertritt die Schweiz die Interessen der USA im iranischen Gottesstaat. Ex-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat immer wieder betont, dass dieses Mandat «uns in Teheran und in Washington Türen öffnet».
Wie sich jetzt zeigt, sogar die Türen zum Weissen Haus.
Bern muss jetzt nur noch lernen, wie man die offenen Türen nutzt, um auch für die eigenen Interessen etwas herauszuholen. Nicht ausgeschlossen, dass unser Schutzmandat für die USA im Iran eine positive Nebenwirkung nach sich zieht. Zum Beispiel das erwähnte Freihandelsabkommen mit Washington ...
In jedem Fall sollten wir als kleines Land unsere Minderwertigkeitskomplexe vergessen – spätestens dann, wenn es mal wieder um Verhandlungen mit Brüssel geht.