Was ist bloss in Paul Rechsteiner gefahren?
Zunächst war er für Johann Schneider-Ammann nicht erreichbar, weil er Ferien machte. Nach seiner Rückkehr aus den USA dann der Paukenschlag: Der Gewerkschaftsboss will überhaupt nicht mit dem FDP-Wirtschaftsminister reden!
Schneider-Ammann hatte mit Rechsteiner ausloten wollen, welche Kompromisse er beim Lohnschutz für denkbar hält. Die EU verlangt Anpassungen bei den flankierenden Massnahmen, bevor sie ein Rahmenabkommen mit der Schweiz abschliesst, das wiederum den Umgang mit den bilateralen Verträgen regeln soll.
Brüssel beharrt auf dem Standpunkt, dass die Schweiz die Spielregeln des europäischen Marktes akzeptieren muss, um ohne Einschränkungen daran teilzunehmen. Die Eidgenossenschaft dagegen findet: Es braucht Ausnahmen, die unsere direkte Demokratie und die hohen Schweizer Löhne schützen.
Weil die Lage verfahren ist, hat der neue Aussenminister Ignazio Cassis das Bild des «Reset»-Knopfes gewählt. Er denkt die Dinge anders. Er bricht Festgefahrenes auf. Er stellt deshalb auch die Frage, ob die Acht-Tage-Regel noch zeitgemäss ist. Sie verlangt, dass sich ausländische Firmen acht Tage vor Ausführung eines Auftrags in der Schweiz anmelden, damit genügend Zeit für die Planung von Kontrollen bleibt.
Mit seiner Absage an Schneider-Ammann hat Rechsteiner nun klargemacht, dass er über diesen Punkt weder nachdenken noch reden will. Alles muss so bleiben, wie es ist.
In der Schweiz aber diskutiert man immer, man streitet, erörtert, ringt um Lösungen, findet einen Kompromiss. So halten es auch die Gewerkschaften. Immer wieder verlangen sie von den Arbeitgebern das Gespräch. Dabei stellen sie der Wirtschaft Forderungen, müssen aber nie Verantwortung für Arbeitsplätze übernehmen. Sie wissen, wie man es machen müsste, brauchen es aber nie selbst zu machen. Wenn nun ausgerechnet ein Gewerkschaftschef das Gespräch verweigert, ist das inakzeptabel.
Es fällt auf, wie verbissen Rechsteiner für den Status quo kämpft. Könnte es damit zu tun haben, dass es ihm auch um eigene wirtschaftliche Interessen geht? Es gibt Hinweise darauf, dass die Gewerkschaften mit Lohndumping-Kontrollen Geld verdienen – was die Arbeitnehmervertreter bisher nicht überzeugend widerlegen konnten. Fakt ist: In einem wenig transparenten System zahlt der Bund für Kontrollen, und die werden unter anderem von den Gewerkschaften ausgeführt.
Ist das die Erklärung für Rechsteiners Irrlauf?
Seine Gewerkschaftskollegen in Frankreich und Deutschland führen viel härtere Arbeitskämpfe. Auch dort stehen Arbeitnehmer unter Lohndruck durch Billig-Konkurrenz aus osteuropäischen Ländern. Und doch würden sich die Gewerkschaften dort nie gegen Europa stellen.
Ausgerechnet am Tag nach Rechsteiners Gesprächsverweigerung lancierten die Gewerkschaften den Lohnherbst. Sie fordern Erhöhungen von «mindestens zwei Prozent». Die gute Wirtschaftslage rechtfertige das.
Wer aber die bilateralen Verträge gefährdet und damit Firmen aus der Schweiz vertreibt, der zerstört die Grundlage für gute Löhne.