BLICKPunkt von Christian Dorer über Geistersiedlungen und den Traum vom eigenen Haus
Bis die Blase platzt

65'000 Mietwohnungen finden keinen Mieter. Gleichzeitig können sich die meisten Familien in der Schweiz kein eigenes Haus mehr leisten. Ist das noch ein funktionierender Immobilienmarkt?
Publiziert: 01.12.2017 um 23:48 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 21:18 Uhr
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Christian Dorer

Vor 25 Jahren ging ich auf die Bezirksschule in Lenzburg AG. Westlich der Stadt gab es weitläufige Wiesen, dazwischen ein bisschen Industrie und Gewerbe. Unser Geografielehrer Walter Basler prophezeite damals: «Ihr werdet noch erleben, dass das alles überbaut wird!»

Herr Basler hatte recht: Heute unterhält Coop dort sein grösstes Verteilzentrum der Schweiz, es gibt einen Jumbo-Baumarkt, Garagen und Maschinenfabriken, es entstehen riesige Wohnsiedlungen – für mehr als 1000 Menschen!

BLICK deckte diese Woche auf: Viele der Wohnungen stehen leer. In der Überbauung Esterli-Flöösch auf dem Gemeindegebiet von Staufen AG sind nur 13 von 51 Einheiten vermietet. Im Mittelland gibt es immer mehr von diesen Geistersiedlungen – in Langenthal BE, in Mellingen AG, und, und, und ...

In der Schweiz wird gebaut, was das Zeug hält. Wer mit dem Velo unterwegs ist, sieht es am deutlichsten: Die Dörfer wachsen, dicht an dicht entstehen riesige Wohnbausiedlungen, eine anonymer als die andere. Über Geschmack lässt sich streiten. Gewiss ist, dass diese Massenware in 100 Jahren nicht mehr stehen wird.

Grund für den Bauboom: Banken geben keine Zinsen, Aktien sind hoch bewertet und riskant. Ausser Immobilien gibt es kaum noch lukrative Anlagen. Darum investieren Privatpersonen, Fonds und Pensionskassen wie wild in Wohnsiedlungen. Doch die Zuwanderung sinkt. Mehr und mehr Wohnungen in der Schweiz stehen leer – Stand heute: 65'000!

Mieter, die eine neue Mietwohnung suchen, dürfen sich freuen. Die Auswahl wird grösser, die Preise sinken. Mieter aber, die vom eigenen Heim träumen, müssen diesen Traum häufig vergessen. Denn die Preise gehen durch die Decke. Logisch: Wenn immer mehr professionelle Anleger in Wohnsiedlungen investieren, wird das Bauland knapp, die Preise für ein Haus mit Umschwung schiessen in die Höhe.

Wir können uns zwar immer mehr leisten – nicht aber ein eigenes Haus. Ein durchschnittliches Haus kostet heute 1,2 Millionen Franken. Zwei Drittel aller Menschen in diesem Land werden sich das gemäss neueren Studien niemals leisten können. Noch vor 30 Jahren hatten der Dorflehrer und mancher Angestellte ein Haus mit Garten – heute muss man dafür entweder enorm gut verdienen oder sehr viel erben.

Überteuerte Häuser, neu entstehende Geistersiedlungen und sinkende Zuwanderung machen misstrauisch – all das deutet auf eine Immobilienblase hin. Und wenn sämtliche Experten schwören, dass davon keine Rede sein könne, sollte uns das erst recht misstrauisch machen. Schliesslich zeichnet sich eine Blase – also ein überteuerter Markt, der jederzeit zusammenbrechen kann – dadurch aus, dass kaum jemand sie erkennt.

Platzt die Blase wirklich, werden viele Menschen sehr viel Geld verlieren. Doch es gibt einen Trost: Viele andere werden sich dann plötzlich wieder ein Haus leisten können.

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