Wir haben den Bezug zu den Milliarden verloren
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BlickPunkt über Staatshilfen
Wir haben den Bezug zu den Milliarden verloren

Diese Krise wird uns teuer zu stehen kommen: Sonderleistungen, Ausfälle und Begehrlichkeiten nehmen zu. Und weil die Kosten in irrwitzige Höhen steigen, wollen alle immer noch mehr und mehr. Das könnte gefährlich werden!
Publiziert: 19.06.2020 um 23:14 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2020 um 10:21 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Anfang der Achtziger erregte der «Furkaloch»-Skandal die Gemüter: Der 15 Kilometer lange Bahntunnel zwischen Oberwald VS und Realp UR kostete am Ende nicht 74 Millionen, wie budgetiert, sondern 318 Millionen Franken!

Die Neat war das grösste Projekt in der Geschichte der Eidgenossenschaft. Zwanzig Jahre lang wurde an dem Jahrhundertwerk gebaut, das aus Gotthard- und Lötschbergtunnel sowie zahlreichen kleineren Grosstaten bestand. Der Preis: 22 Milliarden Franken. Beim Volksentscheid 1992 ging es vor allem um die Frage, ob unser Land sich solche Mammutbauwerke überhaupt leisten kann.

Heute würde wegen ein paar Millionen Furka-Mehrkosten kaum einer mit den Wimpern zucken, die Neat-Kosten erschienen vielen als Schnäppchenpreis. Inzwischen geht es um viel höhere Beträge: um Dutzende oder gleich um Hunderte Milliarden!

Nur ein Beispiel: Während der Finanzkrise 2008 musste der Staat die UBS mit 60 Milliarden Franken vor der Pleite bewahren (und bekam das Geld später zum Glück zurück).

Seitdem stiegen die Fremdwährungsreserven der Schweiz von 50 auf 811 Milliarden, weil die Nationalbank mit fortwährenden Zukäufen dafür sorgen musste, dass der Franken nicht noch stärker wird.

Und nun? 2020 muss der Staat wegen der Coronakrise mehr als 100 Milliarden Franken bereitstellen, in Zahlen 100'000'000'000 – einen Betrag, der jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens liegt: 60 Milliarden Überbrückungshilfe, 35 Milliarden mehr für die Arbeitslosenkasse, dazu Aufwendungen durch Städte und Kantone.

Die Hilfe ist richtig und wichtig. Was aber schwierig zu begreifen ist: Je höher die Summen, desto zahlreicher die Begehrlichkeiten. Wo gerade so grosszügig angerichtet wird, wollen offenbar alle noch etwas mehr vom Kuchen – die Weinbauern, die Kinderkrippen, die Selbständigen, die Sportvereine, die Nachtclubs. Und ja, auch die Medien bekommen ihr Hilfspaket. Vielen Dank an Bern!

Wer hat noch nicht, wer will noch mal!? Wenn Politiker Geld verteilen dürfen, wird es rasch gefährlich. Da schaut jeder, dass seine Interessengruppe etwas bekommt – sicherheitshalber gleich ein bisschen mehr.

Wie es scheint, geht dabei allerdings gerade der Bezug zu den Milliarden verloren. Wir haben uns an so astronomische Beträge gewöhnt, dass nahezu vergessen wird, was sie bedeuten: Jeder einzelne Franken muss zuerst verdient und dann an die Staatskassen entrichtet werden.

Entweder vom Steuerzahler – also von uns – oder von künftigen Generationen. Denn unsere Kinder und deren Kinder werden all diese unvorstellbaren Schulden eines Tages erben.

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