BLICKpunkt von Christian Dorer über Migration, Politik und Fussball
Ein unterschätzter Konflikt

Die Doppeladler-Geste der Nati-Spieler Shaqiri und Xhaka spaltet die Schweiz – und machte Schlagzeilen in der ganzen Welt. Vor allem zeigt sie: Der Hass zwischen Serben und Kosovo-Albanern sitzt nach wie vor tief.
Publiziert: 29.06.2018 um 23:40 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2019 um 11:21 Uhr
Der unterschätzte Konflikt
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Christian Dorers BLICKpunkt:Der unterschätzte Konflikt
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Christian Dorer

Politik hat im Sport nichts zu suchen. Und doch war das WM-Spiel Schweiz–Serbien ein hochpolitisches Ereignis.
 
Am Anfang reizten serbische Fans im Stadion die kosovarischen Secondos bis aufs Blut: Auf den Rängen trugen sie T-Shirts mit dem Porträt des bosnisch-serbischen Kriegsverbrechers Ratko Mladic (75), der neben zahllosen Gräueltaten auch das Massaker von Srebrenica verantwortet, dem mehr als 8000 bosniakische Männer und Jungen zum Opfer fielen. Neben dieser gezielten Verhöhnung der Kriegsopfer und ihrer Angehörigen warfen sie Flaschen auf die Nati-Spieler und skandierten üble Beschimpfungen. 

Es wäre souverän gewesen, die Provokationen zu ignorieren. Doch nach dem 2:1-Jubel in der 90. Minute zeigten Xherdan Shaqiri (26) und Granit Xhaka (25) vor den serbischen Fans demonstrativ die inzwischen weltberühmte Geste, die den albanischen Doppeladler symbolisieren soll.
 
Die Fifa büsste den serbischen Verband mit 54'000 und die zwei kosovarischstämmigen Spieler mit je 10'000 Franken. BLICK-Sportchef Felix Bingesser kommentierte: «Die Fifa verpasst es, ein deutliches Zeichen zu setzen. Der Fussballwelt zu zeigen: Derart provokative und nationalistische Botschaften, die einen heiklen Konflikt weiter schüren, werden nicht geduldet. Ein härteres Durchgreifen hätte klare Verhältnisse geschaffen.»
 
Eine Sperre hätte klargemacht: Politik hat in einem Fussballstadion nichts zu suchen.
 
Seither diskutiert die ganze Schweiz: War es ein Blödsinn im Freudentaumel? Ein spontaner Gruss in die alte Heimat? Oder eben doch der Hinweis auf mangelnde Integration?

Kein Zweifel: Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo geht bei weitem tiefer, als den meisten Schweizern bewusst ist. Das ist keine neckische Rivalität wie etwa zwischen Zürich und Basel. Das ist reiner Hass!

Und die Schweiz ist mittendrin: Vor allem als Folge der Bürgerkriege von 1991 bis 2001 leben bei uns rund 200‘000 Menschen kosovo-albanischer und 100'000 serbischer Abstammung.

Im früheren Jugoslawien genoss die mehrheitlich von Albanern bewohnte Provinz Kosovo grosse Autonomie. Der Einmarsch serbischer Kampfeinheiten löste Gegenangriffe der Rebellenorganisation UCK aus. 13'500 Menschen wurden getötet, Hunderttausende waren auf der Flucht. Erst Bombardements der Nato beendeten die Kämpfe.

Der kosovarische Präsident Hashim Thaci (50) antwortet im Februar auf die Frage in einem BLICK-Interview, wie präsent dieser Krieg noch sei: «Sehr präsent. Die Menschen im Kosovo können die mehr als 400 Massaker des serbischen Staats nicht vergessen. Deshalb müssen wir uns vorsichtig, Schritt für Schritt, bewegen, indem wir die Vergangenheit respektieren, die Gegenwart managen und für die Zukunft arbeiten.»
 
Dass die Xhakas und Behramis ohne dieses historische Trauma nicht in die Schweiz geflüchtet wären, wo sie heute für die Schweizer Nati spielen, liegt auf der Hand. Und dass sie sich heute zwei Nationen zugehörig fühlen, ist kein Wunder. Ihnen deshalb Mangel an Dankbarkeit vorzuwerfen, geht an der Sache vorbei. Noch viel abstruser ist die Beschreibung der Schweizer Nationalmannschaft als eine «Veteranentruppe von Auslandsöldnern mit Schwerpunkt Balkan, angereichert durch ein paar eingeschweizerte Afrikaner», wie SVP-Nationalrat Roger Köppel (53) in seiner «Weltwoche» schreibt. 

Die Schweiz wäre ohne ihre Einwanderer ein anderes Land. Die Wirtschaft wäre nicht derart erfolgreich, niemand würde sich um einfachere Jobs kümmern – und im Achtelfinal der Fussball-WM wären wir erst recht nicht.

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