Zuerst die Fakten: Für die meisten Infizierten ist das Coronavirus nicht gefährlicher als eine saisonale Grippe. Gesunde, jüngere Menschen müssen sich überhaupt keine Sorgen machen. Das Sterberisiko für Covid-19-Erkrankte liegt bei einem bis zwei Prozent; das heisst, fast 99 Prozent überleben. Gemäss Weltgesundheitsorganisation (WHO) fallen der saisonalen Grippe jährlich bis zu 650'000 Menschen zum Opfer, mehrere hundert allein in der Schweiz. Das Coronavirus wird gegenwärtig – bei erheblich weniger Infizierten – als leicht tödlicher eingeschätzt.
Was Corona gefährlicher macht als die Grippe: Es gibt bisher keinen Impfstoff, also auch keine Prävention für die Risikogruppe der älteren und kranken Menschen. Bei über 70-Jährigen verläuft die durch das Virus ausgelöste Lungenkrankheit bei acht Prozent der Erkrankungen tödlich, bei über 80-Jährigen sind es fast 15 Prozent.
Deshalb ist es richtig, dass die Behörden alles daransetzen, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Und wenn jetzt Grossanlass um Grossanlass abgesagt wird: der Engadin Skimarathon, der Genfer Autosalon, die Basler Fasnacht, die Uhrenmesse, Fussballspiele ... Kaum ein Ort ist effizienter zur Verbreitung von Krankheitserregern als eine Ansammlung Tausender von Menschen.
Dennoch gibt es keinen Grund, in Panik zu verfallen. Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn (39) sagt treffend: «Wir empfehlen den Bürgerinnen und Bürgern, nicht hinter jedem Husten eine Corona-Infektion zu vermuten!»
Die Realität ist leider eine andere: Wer niest, erntet entsetzte Blicke. Konservenregale im Supermarkt werden leergefegt, als stünde ein Atomkrieg bevor. Und manche Zeitgenossen sind felsenfest überzeugt, jetzt sterbe gleich das halbe Land.
Die Corona-Epidemie ist kein Horrorfilm aus Hollywood, in dem ein hoch aggressives Virus die Menschheit auszulöschen droht, wie «Contagion» mit Matt Damon, «Outbreak» mit Dustin Hoffman oder «World War Z» mit Brad Pitt – Filme, die eine Urangst unserer Spezies zu Unterhaltung machen.
Der Psychiater Borwin Badelow (68), Experte für Angststörungen, stellte auf SRF das Geschehen in einen grösseren Zusammenhang: «Immer wenn eine Gefahr auftaucht, die neu und unberechenbar erscheint, haben wir davor mehr Angst als vor den bekannten Gefahren. Dann gerät das System aus der Balance.» Nach vier Wochen gewöhnten sich die Menschen an die neue Lage und gingen zum Alltag über.
Für Organisatoren von Grossveranstaltungen in der Schweiz, die viel Geld, Arbeit und Herzblut investiert haben, ist das natürlich kein Trost. Sie können nur schmerzhaft registrieren, wie das öffentliche Leben derzeit aus den Fugen zu geraten scheint.
«Eine Katastrophe» ist das allerdings nicht, wie jetzt manche sagen. Man denke nur an die Spanische Grippe, die 1918 zwischen 20 und 50 Millionen Todesopfer forderte. Eine Katastrophe wäre ein Virus, das tatsächlich für alle lebensgefährlich wäre.
So aber wird uns gerade eindrücklich vor Augen geführt, dass es keine Vollkaskoversicherung gegen jedes beliebige Risiko gibt – auch wenn wir in einer Welt leben, die keine Unsicherheiten mehr zu ertragen scheint, und sofort irritiert sind, wenn etwas anders läuft als gewohnt.
Spätestens in ein paar Monaten wird die Covid-19-Epidemie weitgehend an uns vorübergezogen sein, wie auch jede Grippesaison einmal ihr Ende hat.