Eigentlich ist es die Aufgabe einer Regierung zu führen. Zu sagen, was sie will. Ausgerechnet im wichtigsten Dossier, beim Rahmenvertrag mit der EU, hatte der Bundesrat bisher keine Haltung. Stattdessen konsultierte er bloss, fragte also verschiedene gesellschaftliche Kräfte nach ihrer Meinung.
Gestern hat der Bundesrat endlich seine Position gefunden: Er will dieses Rahmenabkommen, weil es der Schweiz Zugang zum EU-Markt garantiert. Und er definiert drei «Aber» - drei Punkte, die nicht akzeptabel sind:
1. Lohnschutz: Nirgendwo in Europa verdienen die Menschen mehr als in der Schweiz. Machen wir bei den Löhnen für Ausländer zu grosse Kompromisse, geraten die Arbeitsplätze der Inländer in Gefahr.
2. Unionsbürgerrichtlinie: Nirgendwo in Europa erhalten die Menschen mehr Sozialhilfe als in der Schweiz. Erleichtern wir den Zugang fremder Staatsbürger zu diesen Leistungen im Übermass, droht der Kollaps des ganzen Systems.
3. Staatliche Beihilfen: Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine so hoch entwickelte Tradition von kantonalen und kommunalen Betrieben, etwa Kantonalbanken und Elektrizitätswerken. Halten wir den Staat raus, führt das zu Problemen.
Es hat nichts mit Rosinenpickerei zu tun, bei diesen Punkten nachbessern zu wollen, sondern mit Rücksicht auf Schweizer Besonderheiten, die für niemanden in der EU einen Nachteil bedeuten.
Am wichtigsten aber: Ein Abkommen mit Brüssel, das auf diese Eigenheiten keine Rücksicht nimmt, hat hierzulande keine Chance an der Urne.
Die Position des Bundesrats ist deshalb vernünftig, realistisch - und alles andere als überraschend. Selbst die monatelange Konsultation hat lediglich ergeben, was längst alle wissen.
Falsch war der umständliche Prozess dennoch nicht. Einerseits muss manchmal auch das Offensichtliche reifen. Andererseits ist der Bundesrat jetzt bedeutend stärker legitimiert, in Brüssel zu sagen: In der vorliegenden Form hat das Abkommen keine Chance, weil das Volk nicht dahintersteht. Der Bundesrat verfügt nun über ein stärkeres Mandat als je zuvor.
Vielen in der EU ist unsere direkte Demokratie suspekt. Wenn aber ein Resultat in ihrem Sinn herausgekommen ist, verweisen dieselben Skeptiker gern auf die besondere Bedeutung eines Schweizer Volksentscheids.
Zwar wird es kaum Nachverhandlungen geben, weil die EU-Kommission gegenüber den Mitgliedsländern ihr Gesicht wahren muss. Mit etwas diplomatischem Geschick jedoch können die Nachbesserungen über Zusatzprotokolle, Erklärungen oder Präzisierungen gewährleistet werden, die auch bei den Schweizer Stimmbürgern Anklang finden.
Ganz ähnlich wie beim EU-Waffengesetz, das die Schweiz übernehmen muss, um weiterhin zum «Schengen»-Raum zu gehören. Am Anfang schien es ausgeschlossen, dafür im Volk eine Mehrheit zu finden. Dann trat der Bundesrat in Nachverhandlungen mit Brüssel ein, um Besonderheiten wie Schützenwesen und Armeewaffen im neuen Gesetz zu verankern.
Vor drei Wochen sagten dann 64 Prozent der Schweizer Stimmbürger Ja!