Peking oder Washington?
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Heisse These über Kalten Krieg:Peking oder Washington?

BlickPunkt über die Schweiz und den neuen Kalten Krieg
Peking oder Washington?

Unsere Beziehungen zu China wie zu den USA sind so gut wie kaum je zuvor. Doch das wird nicht so bleiben, denn die Fronten zwischen den mächtigsten Ländern der Welt verhärten sich: Die Schweiz muss sich entscheiden.
Publiziert: 06.12.2019 um 22:42 Uhr
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Aktualisiert: 13.12.2019 um 23:07 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

«Wann begann der zweite Kalte Krieg? Künftige Historiker werden sagen 2019.»

Mit diesen Worten beginnt ein Essay von Niall Ferguson (55), der diese Woche in der «New York Times» erschien – und ein grosses Echo auslöste.

Die These des britischen Historikers: China und die USA haben einen Krieg um die Weltherrschaft begonnen – ausgefochten wird er mit den Waffen des Handels und der Technologie. Zwei komplett verschiedene Systeme stehen sich da gegenüber: das freiheitliche und das autoritäre. Die ganze Welt teile sich deshalb in zwei Lager – sie stehen sich in einem Gleichgewicht des Schreckens gegenüber, ganz so wie der freie Westen und der Ostblock im ersten Kalten Krieg zwischen 1947 und 1989.

Zu beiden neuen Weltmächten unterhält die Schweiz exzellente Beziehungen: 2019 wurde Bundespräsident Ueli Maurer (69) von Donald Trump (73) im Oval Office und von Chinas Präsident Xi Jinping (66) in Peking empfangen.

Das Reich der Mitte fühlt sich unserem Land verbunden, seit dieses das kommunistische Regime 1950 als eines der ersten anerkannte – bis heute lernt das jeder Chinese in der Schule. Das ist auch der Grund dafür, dass die Schweiz im Gegensatz zur EU von einem Freihandelsabkommen mit China profitiert.

Auch mit der aktuellen US-Regierung unterhalten wir exzellente Beziehungen. Bern vertritt die US-Interessen im Iran, einem der heissesten aller Krisenherde. Schweizer Unternehmen stehen in den USA an siebter Stelle der Investoren und zahlen dort im Durchschnitt die höchsten Löhne.

Derzeit ist das kein Problem. Noch kann die Schweiz entspannt auf beiden Hochzeiten tanzen. Doch falls Ferguson recht behält und tatsächlich ein neuer Kalter Krieg ausbricht, wird sich die Schweiz entscheiden müssen. Unsere «Neutralität» wird uns dann ebenso wenig helfen wie im letzten Kalten Krieg, als die Schweiz de facto zum Westblock gehörte.

Heute stehen die Vorzeichen anders: Im Volk gibt es viel Antiamerikanismus – und viel Bewunderung für China. Alle wissen: Donald Trump ist ein Präsident, der die Wahrheit verdreht, staatliche Institutionen missachtet und täglich die Verfassung ritzt. Im Gegensatz dazu erscheint Chinas wirtschaftlicher Aufstieg atemberaubend.

Dennoch wäre es für Schweizerinnen und Schweizer komplett absurd, gegen die USA zu sein – und für China! Amerika steht uns viel näher, ist so etwas wie unsere Schwesterdemokratie. Die USA vertreten die gleichen Werte, stehen für Freiheit, Menschenrechte und funktionierenden Rechtsstaat.

China hingegen ist auf dem Weg zum totalen Überwachungsstaat. 600 Millionen Kameras hat das Riesenreich installiert, es verfolgt jeden Schritt seiner 1,4 Milliarden Einwohner. Bis zu drei Millionen Uiguren sitzen in Gefangenenlagern, in Hongkong steht die blutige Niederschlagung der Proteste bevor.

Diese Woche war ich in Washington, D.C. Vor dem Weissen Haus begegnete ich einem erbitterten Trump-Gegner. Auf Plakaten und über Megafon verbreitete er übelste Beleidigungen gegen seinen Präsidenten. Die Secret-Service-Agenten standen desinteressiert daneben und liessen ihn gewähren – Meinungsfreiheit eben.

Was würde auf dem Tian'anmen-Platz in Peking mit einem Kritiker von Xi Jinping geschehen?

Keine Frage: Es ist beruhigender für uns, wenn die USA das mächtigste Land der Welt sind und nicht China. Trotz Trump. Denn den haben wir – es lebe die Demokratie! – in fünf Jahren sowieso hinter uns.

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