Carla Del Ponte (70) ist so etwas wie die Eiserne Lady der Schweiz. Schon vor Jahrzehnten ging sie als Bundesanwältin auf die Jagd nach Mafiosi und anderen Schwerkriminellen. Dann klagte sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Kriegsverbrecher aus Ex-Jugoslawien und Ruanda an, noch vor Wochen verfolgte sie im Auftrag der UN Menschenrechtsverletzungen im syrischen Bürgerkrieg.
Die Schlimmsten der Schlimmen fürchteten und hassten diese unerschrockene Frau. Permanent lebte sie unter Polizeischutz, arbeitete rund um die Uhr, ihr Sohn Mario wuchs bei den Grosseltern auf. Del Pontes Motto in all diesen Jahren: «Ich kämpfe, weil ich einen Sinn hinter meinem Schaffen sehe.»
BLICK-Politredaktorin Cinzia Venafro hat ein intensives Gespräch mit dieser bemerkenswerten Schweizerin geführt; am Mittwoch stand es im BLICK. Carla Del Ponte zog darin die Bilanz ihres Lebens. Von Kampfgeist war nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. «Ich muss mir eingestehen: Ich habe nichts erreicht», sagt sie. Und: «Ich habe heute weniger Hoffnung für die Welt als je zuvor. Es steht so schlecht um die Menschenrechte, wie ich es mir niemals vorgestellt hätte.»
Del Ponte über den Bürgerkrieg in Syrien: «Wir kommen nicht einmal annähernd an den Punkt, an dem man Gerechtigkeit für die Opfer erlangt. Derzeit gibt es keinen politischen Willen für eine Strafverfolgung … Kein Licht der Hoffnung. Es ist stockdunkel!»
Die Tessinerin hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Sie verbringt ihre Tage mit Golf und Enkelhüten. Kein Schwerkrimineller hat noch Angst vor ihr. Ein Sieg des Verbrechens?
Selten hat eine international prominente Persönlichkeit so kritisch, so schonungslos, so resigniert Bilanz über das eigene Leben gezogen wie Del Ponte. Jeder, der die Worte dieser Alleingelassenen liest, muss sich fragen: Kämpfen wir wirklich genug für unsere Werte? Nehmen wir nicht allzu oft die Dinge einfach als gegeben hin?
Drei Beispiele:
– Del Ponte zeigt schonungslos auf, dass die internationale Politik wenig Interesse an der Jagd auf Kriegsverbrecher verspürt – und kaum jemanden kümmert es.
– In Deutschland holt die fremdenfeindliche, von Faschisten durchsetzte Partei AfD 13 Prozent der Stimmen – und zum grossen Aufschrei kommt es nicht.
– In der Schweiz vergleicht der Grünen-Nationalrat Jonas Fricker frohgemut Juden mit Schweinen. Bei einer Debatte zur Massentierhaltung sagte er über Millionen Opfer des Holocausts: «Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine, die fahren in den sicheren Tod.» Und im Nationalratssaal protestierte keiner gegen diese Ungeheuerlichkeit!
Heinrich-August Winkler (78), einer der grössten Historiker unserer Zeit, ein rastloser Kämpfer für die westlichen Werte, sagte kürzlich im Magazin des SonntagsBlick: «Europa, Kanada, Australien, Neuseeland und in Zukunft hoffentlich auch wieder die USA verkörpern dieselben Werte. Nur zusammen können sie den autoritären Tendenzen wirksam entgegentreten.»
Aber: Tun wir das? Sind wir nicht alle abgestumpft von dem, was da ständig auf uns einprasselt? Haben wir uns etwa daran gewöhnt, dass in unserer schnelllebigen Zeit alles möglich, alles erlaubt ist? Warum braucht es so viel, bis sich wirklich jemand empört?
Wir alle sollten in uns gehen, wieder häufiger einen Punkt setzen – und unmissverständlich sagen: So nicht!