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BlickPunkt über den plötzlichen Tod von Donghua Lis Sohn
Verschieben wir nicht alles auf morgen!

Am Freitag vor einer Woche hatte der kleine Janis Bauchschmerzen, am Dienstag war der Siebenjährige tot. Heute trauert die ganze Schweiz mit Olympiasieger Donghua Li um seinen Sohn. Auch, weil uns die Krebstragödie vor Augen führt, wie zerbrechlich das Leben ist.
Publiziert: 23.08.2019 um 19:48 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2019 um 09:08 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

«Unser Sonnenschein, der immer fröhliche, so aufgeweckte und liebevolle Janis, ist von uns gegangen. Es bricht mir das Herz!», sagte der Vater des kleinen Jungen, Donghua Li (51), zur «Schweizer Illustrierten»; sie machte die Tragödie publik.

Für das, was der Kunstturn-Olympiasieger von Atlanta 1996 in diesen Tagen durchmacht, fehlt jeder Vergleich. Am Freitag vor einer Woche bemerkt er, dass der Bauch seines siebenjährigen Sohnes angeschwollen ist. Er geht mit dem Kind zum Arzt, der weist es sofort ins Spital ein. Die niederschmetternde Diagnose: Ein bösartiger Lebertumor hat bereits Metastasen gebildet. Vier Tage später, am Dienstag, stirbt Janis auf der Intensivstation. Es ist 17.55 Uhr.

Donghua Li: «Das Schlimmste war, dass ich für unseren Janis nichts mehr machen konnte. Ich konnte nur noch für ihn beten!»

Wohl niemand, der nicht selbst ein Kind verloren hat, kann wirklich nachfühlen, wie es Donghua Li geht. Doch der Schock und die Betroffenheit erschüttern die ganze Schweiz. Dass ein Kind vor seinen Eltern gehen muss, ist gegen den natürlichen Lebensverlauf.

Unsere Bestürzung über den plötzlichen Tod des kleinen Janis ist auch deshalb so gross, weil er uns schonungslos vor Augen führt, wie wenig wir die wirklich essenziellen Fragen unseres Lebens unter Kontrolle haben.

«Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen.» So steht es im Alten Testament, im Buch Hiob, dessen Ursprünge vier Jahrtausende zurückreichen. Doch niemand muss religiös sein, um zu wissen: Es sind nicht wir, die über unsere Existenz bestimmen. Wir waren es noch nie.

Bloss machen wir uns das heute nicht mehr klar. Wir geben uns der Illusion hin, alles im Griff zu haben. Darüber zu entscheiden, welchen Weg unser Leben nimmt. Und dass es für alles eine Lösung gibt: Die moderne Technik, die moderne Medizin werden es schon richten. Schliesslich wird der Mensch so alt wie nie, kommt die Forschung dem ewigen Leben immer näher.

Wir sind gegen sämtliche Fälle versichert, wir haben für alles und jedes ein Gesetz und eine Behörde, uns stehen nahezu unbegrenzt Techniken und Algorithmen zur Verfügung – von der Einparkhilfe bis zur Armbanduhr, die unseren Schlaf überwacht –, besonders in der Schweiz ist die Vollkasko-, die Nullrisiko-Mentalität weit verbreitet. Unsicherheit und Unwägbarkeit sind wir nicht mehr gewohnt. 

Dennoch kommt es selbst in unserem wohlhabenden, hypermodernen, hoch technisierten, medizinisch perfekt ausgerüsteten Land vor, dass jede Hilfe vergebens ist. Dass zwischen einer glücklichen Kindheit und dem Tod auf der Intensivstation manchmal nur vier Tage liegen. 

Dann fragen sich alle: Warum? Ohne je eine Antwort zu erhalten.

Genau dies ist der Moment, in dem wir uns wieder einmal vor Augen führen sollten, dass unser Glück weder selbstverständlich ist noch von garantierter Dauer. 

Doch es gibt etwas, das wir wirklich in der Hand haben: Wir sollten nicht immer alles Wichtige im Leben auf später verschieben. Und wir sollten dafür sorgen, dass wir im Reinen sind mit uns und mit den Menschen, die uns wichtig sind – auch für den Fall, dass es plötzlich kein Später mehr gibt.

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