Roberto Cirillo (48) sprach das erste Machtwort noch vor seinem Arbeitsantritt als neuer Chef der Post: Er stoppte einen Skandal, den BLICK aufgedeckt hatte: Viele Pöstler sollten künftig erst mittags erfahren, um welche Uhrzeit sie später am Tag zur Arbeit erscheinen müssen. Chapeau, Herr Cirillo: Bleiben Sie dran!
Beim Einsatz der Post-Beschäftigten hat sich nämlich schon so mancher Blödsinn eingeschlichen: Für jede Tour ihres Päckli-Dienstes zum Beispiel gilt eine Zeitvorgabe. Ist auf Tour A diese Woche ein fitter, ortskundiger Jung-Pöstler unterwegs, drückt er den Durchschnitt für die anderen – und ein älterer, weniger trainierter oder ortskundiger Kollege muss nächste Woche auf Tour A schneller sein, wenn er nicht gratis arbeiten möchte. Über 55-Jährigen steht man zwar ein paar Toleranz-Minuten zu – aber nur, wenn sie seit mindestens 25 Jahren bei der Post sind. Als ob Älterwerden von den Dienstjahren abhängig wäre …
Dass Post-Manager solche Entscheidungen treffen, hat auch mit dem Druck zu tun, unter dem sie stehen. Alles muss ständig schneller und billiger werden, weil alle immer mehr Leistung für immer weniger Geld verlangen. Also müssen die Chefs kontrollieren, automatisieren, rationalisieren – das heisst: Personal abbauen und aus den verbleibenden Beschäftigten das Maximum herauspressen.
Dasselbe Phänomen ist bei den SBB zu beobachten: Neuerdings fährt in vielen Zügen nur noch ein einziger Kondukteur. Der zweite verschwindet, ebenso wie Dutzende von bedienten Schaltern.
Moderne Technik mache den Menschen überflüssig, heisst es dann gerne. Nur: Wie passt das mit unserer Beobachtung zusammen, dass die Zuverlässigkeit des Service public trotz aller tollen Technik abnimmt?
Vor wenigen Tagen kehrte ich von einer Reise durch Japan zurück, das am höchsten technologisierte und am besten organisierte Land des Erdballs: Nirgendwo sonst ist die Digitalisierung des Alltags so weit fortgeschritten, wird sie perfekter eingesetzt, funktioniert sie derart zuverlässig.
Japan verfügt über das am besten entwickelte Bahnnetz der Welt. Verspätungen kommen kaum vor – und wenn doch, handelt es sich höchstens um Sekunden. Niemand verpasst dort jemals seinen Anschluss. Der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen verkehrt seit 1964 ohne einen einzigen tödlichen Unfall. Alles ist vollautomatisiert und durchorganisiert.
Und wo liegt der grosse Unterschied zur Schweiz? Dass in Japan überall ausreichend Personal vorhanden ist. Kam ich einmal mit einem Billettautomaten nicht zurecht, war sofort ein Bahnbediensteter zur Stelle. Wollten zu viele Passagiere an der gleichen Türe einsteigen wie ich, erschienen unverzüglich Angestellte und gaben Anweisungen – in der Schweiz hätte der Zug einfach noch ein paar Minuten Verspätung mehr.
Die Japaner haben verstanden, dass die Technik den Menschen nicht ablösen darf, um ihm zu nutzen, sondern dass sie ihn ergänzen, ihm helfen und dienstbar sein muss – und dass es dabei nun mal ohne Menschen nicht geht!