BLICKpunkt über das Vertrauen in die Wirtschaft
BLICK und die Detektive

Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen: Auch nicht diese Geschichte, in der behauptet wird, der BLICK lasse seine Chefredaktoren überwachen. Doch ihre Ähnlichkeit mit realen Vorkommnissen ist nicht ganz zufällig.
Publiziert: 27.12.2019 um 21:50 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Heute möchte ich Ihnen eine Story aus der BLICK-Chefredaktion erzählen. Da sie leider bitterböse ist, konnte ich sie nicht als Weihnachtsgeschichte verwenden. Deswegen erscheint sie erst heute. Ausserdem ist sie frei erfunden: Die Vorkommnisse sind fiktiv, die Personen echt.

Die Geschichte geht so:

Roman Sigrist ist bei uns in der Chefredaktion Leiter Projekte & Operations. Er führt alle Geschäfte, die nicht direkt den Inhalt unserer Website oder unserer Zeitungen betreffen. Er sorgt dafür, dass der Laden läuft. So, und jetzt die Fiktion: Wir arbeiten seit zwanzig Jahren zusammen. Der BLICK ist bereits unser vierter gemeinsamer Arbeitgeber. Sobald ich bei einem neuen Unternehmen Chef wurde, habe ich ihn dort als Stabschef angestellt. Er ist mein engster Vertrauter.

Im Frühjahr 2019 verkrachte ich mich (fiktiv) mit meiner (realen) Digital-Chefredaktorin Katia Murmann. Auf der Cocktailparty zum 60. BLICK-Geburtstag kam es zum totalen Eklat, einer Schreierei am kalten Buffet. Murmann verliess den BLICK Knall auf Fall. Sie ist freigestellt, bezieht aber noch Lohn. Da fliegt im Spätsommer ein Kommando von Detektiven auf, die Murmann im Auftrag von BLICK beschatten. Was folgt, ist noch immer alles erfunden, aber ein Desaster: Shitstorm in den sozialen Medien, internationale Negativ-Schlagzeilen, TV-Talkmaster machen sich über uns lustig ...

Eine Anwaltskanzlei, beauftragt von unserem Verlag, der Ringier AG, untersucht die Vorgänge. Ihr Fazit: Sigrist hat Murmanns Überwachung völlig selbständig angeordnet, ohne mein Wissen – wozu und warum, bleibt unklar. «Ein absoluter Einzelfall», heisst es im Untersuchungsbericht. Mir kann niemand nachweisen, dass ich etwas gewusst habe. Der Whatsapp-Chat zwischen Sigrist und mir allerdings wurde nicht ausgewertet: Er war gelöscht worden. Von wem? Nicht mehr feststellbar.

Sigrist wird entlassen und mit einer riesigen Abfindung ruhiggestellt. Ringier-CEO Marc Walder spricht mir, dem Chefredaktor der gesamten Blick-Gruppe, vor den Medien das Vertrauen aus (Danke, Marc!) und empört sich, solche Praktiken entsprächen nicht der Kultur von BLICK. Ich selber sage dazu intern und extern ... nichts. Als mich Journalisten direkt auf den Skandal ansprechen, bezeichne ich die Überwachung von Mitarbeitenden – selbstverständlich ganz allgemein – als «legitime Waffe», die ein Unternehmen im Notfall ergreifen müsse.

Blöd nur, dass die «NZZ» ein paar Wochen später publik macht, dass im Winter auch der Chefredaktor des gedruckten BLICK überwacht wurde. Noch pikanter: Wenige Tage nach der Geheimaktion der Detektive hatte ich Andreas Dietrich aus der Chefredaktion geworfen. Und täglich grüsst das Murmeltier: Die gleichen Anwälte untersuchen jetzt die zweite BLICK-Überwachungsaffäre – und kommen nochmals zum Schluss, es handle sich um einen «absoluten Einzelfall», Sigrist habe erneut eigenmächtig gehandelt.

Also wird er nochmals entlassen (diesmal fristlos), mein Chef sagt nochmals, wie «inakzeptabel und unangemessen» er das alles finde und spricht mir nochmals sein Vertrauen aus (nochmals Danke, lieber Marc!).

Zum Glück herrschen in unserer Chefredaktion keine solchen Verhältnisse. Denn wenn sich das alles tatsächlich so zugetragen hätte: Wie sollten Sie dann dem BLICK und mir weiterhin vertrauen? Würden Sie mir oder dem BLICK überhaupt noch etwas glauben?

Ob Kunden, Investoren oder Mitarbeiter einer Firma und ihrer Führung Vertrauen schenken oder nicht, das bleibt in unserer freien Wirtschaft jedem selbst überlassen. Niemand muss etwas von einem solchen Unternehmen kaufen, seine Aktien halten, dort arbeiten, in dessen Geschäfte investieren.

Bloss: Wenn nicht BLICK, wie in dieser fiktiven Geschichte, die Schweizer Bevölkerung für dumm verkauft, sondern – wie es gerade real geschieht – einer der grössten Konzerne des Landes, dann brauchen sich seine Berater und Manager nicht zu wundern, wenn sie an Rückhalt verlieren. Schon gar nicht, wenn sie wieder etwas von der Bevölkerung wollen – wie das schon sehr bald wieder der Fall sein wird: bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungs-Initiative.

Denn die ist keine Fiktion!

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