Bis Freitag letzter Woche las sich sein Lebenslauf wie ein Märchen: Mit 24 wurde Sebastian Kurz Staatssekretär, mit 27 Aussenminister, mit 31 Bundeskanzler. Weil er in der Flüchtlingsfrage Haltung bezog und weil er seinem Land ein neues Standing in Europa verschaffte, ist er der beliebteste Politiker Österreichs.
Doch in den meisten Märchen kommt irgendwann der böse Wolf. In diesem war es Heinz-Christian Strache, der mehr als umstrittene Vizekanzler, dessen Freiheitliche Partei (FPÖ) immer wieder mit braunem Gedankengut sympathisiert.
Dann tauchte ein zwei Jahre altes, versteckt aufgenommenes Video aus Ibiza auf. Sturzbetrunken bietet Strache darin Staatsaufträge gegen Wahlkampfunterstützung an. Die Nation ist entsetzt. Strache tritt zurück. Kurz distanziert sich von den Freiheitlichen. Sie ziehen ihre Minister ab. Die Regierung implodiert. Neuwahlen im September!
Nun steckt Kurz erstmals in einer schweren Bredouille. Die FPÖ schwört Rache, die Linken werfen ihm Naivität vor: Er hätte die Freiheitlichen nie in die Regierung holen dürfen. Am Montag entscheidet ein Misstrauensvotum darüber, ob auch er gehen muss.
Ist ein solcher Eklat auch in der Schweiz möglich?
Beginnen wir beim Jung-Kanzler. Klar ist: Eine Schweizer Ausgabe von Sebastian Kurz würde nie und nimmer Bundesrat. Seine eigene Partei würde ihn nicht aufstellen, weil sich die Altgedienten für besser halten; die anderen Parteien würden ihn nicht wählen, weil sie der Konkurrenz keine Ausnahme-Erfolge gönnen. In der Schweiz geht ein brillanter junger Newcomer nicht durch die Decke, sondern wird einen Kopf kürzer gemacht.
Aber auch ein Strache würde es nie in den Bundesrat schaffen: Er polarisiert zu stark. Bei uns werden eingemittete Politiker in die Landesregierung gewählt. Denn sie sind auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen.
Dass Bundesräte einen Skandal auslösen, der ihren politischen Tod bedeutet, ist auch in der Schweiz denkbar. Der inzwischen verstorbene SVP-Nationalrat Bruno Zuppiger wäre beinahe Bundesrat geworden, bis bekannt wurde, dass er eine Erbschaft geplündert hatte. Auch der Genfer FDP-Staatsrat Pierre Maudet hätte es fast geschafft. Dann kam aus, dass er sich mitsamt Familie zu einem Gratis-Trip nach Abu Dhabi hatte einladen lassen und darüber gelogen hatte.
Doch selbst wenn es mal zum Skandal käme, würde die Schweiz nicht in eine Staatskrise stürzen, die Regierung nicht auseinanderbrechen, keine Neuwahl anberaumt. Der fehlbare Politiker würde freiwillig zurücktreten oder von seinem Kollegium kaltgestellt – und der Alltagsbetrieb ginge weiter.
Der Grund: Bei uns ist niemand wirklich wichtig. Das verhindert den raschen Aufstieg von Ausnahme-Talenten wie Sebastian Kurz. Und das macht uns langweilig. Es macht unser Land aber auch besonders stabil.
Von Bern zurück nach Wien: Egal, wie das Misstrauensvotum dort ausgeht – mit Sebastian Kurz ist auch in Zukunft zu rechnen. Mehr denn je. Fast alle grossen Politiker haben arge Rückschläge erlitten: von Napoleon (verbannt) über Wolfgang Schäuble (im Streit mit Helmut Kohl zurückgetreten) bis Bill Clinton (als Gouverneur abgewählt, als Präsident beinahe des Amtes enthoben).
Denn die Erfahrung lehrt: Krisen können Menschen stärker machen als fortwährende Erfolge.