BlickPunkt über Boris Johnson und die direkte Demokratie
Was Grossbritannien von der Schweiz lernen kann

Die Briten forderten: Schluss mit dem Hin und Her um den EU-Ausstieg! Boris Johnson (55) versprach: Ich ziehe den Brexit durch! Er wurde gewählt. Wie Demokratie effizienter funktioniert, hätte sich Grossbritannien von der Schweiz abschauen können.
Publiziert: 13.12.2019 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2019 um 12:38 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Das Resultat war so überraschend wie eindeutig: Boris Johnsons Konservative eroberten 364 von 650 Parlamentssitzen. Damit hat der Premierminister die Macht und das Mandat, Grossbritannien bis zum
31. Januar aus der Europäischen Union zu holen.

Sein Slogan «Zieht den Brexit durch!» traf den Nerv der Wählerinnen und Wähler. Alle Experten aber wurden eines Besseren belehrt. Sie hatten behauptet, die Briten würden bei einer zweiten Abstimmung ihren Volksentscheid vom 23. Juni 2016 kippen. Johnson jubelte: «Wir leben in der grossartigsten Demokratie der Welt!» Doch diese Aussage ist Unsinn. Abgesehen davon, dass man die Demokratie nicht nur dann lobpreisen sollte, wenn sie einem recht gibt.

Denn gäbe es wirklich eine «grossartigste Demokratie der Welt», dann wäre es die Schweiz! Und von der hätte Grossbritannien lernen können, wie Demokratie funktioniert. Hier die wichtigsten Regeln:

Erstens: Befrage das Volk regelmässig – oder lass es bleiben. Die Schweizerinnen und Schweizer werden vier Mal im Jahr an die Urne gerufen. Und entscheiden deshalb routiniert und vernünftig. Wenn die Bevölkerung nur alle paar Jahrzehnte über eine wichtige Sachfrage abstimmen darf, dann benutzt sie die seltene Gelegenheit gern, um «denen da oben» einen Denkzettel zu verpassen. Weil es sonst kein Ventil gibt, durch das sich Frust und Wut entladen könnten.

Zweitens: Akzeptiere den Entscheid – auch wenn er dir nicht passt. Zum Wesen einer lebendigen Demokratie gehört, dass jeder mal zu den Gewinnern gehört und jeder mal zu den Verlierern. Wenn Politiker einen Volksentscheid zu hintertreiben suchen, verspielen sie Vertrauen. Grossbritannien hat drei gescheiterte Versuche hinter sich, aus der EU auszutreten, weil alle von den Austrittsgegnern torpediert wurden.

Drittens: Setze den Volkswillen um – und sei zu Kompromissen bereit. Zugegeben, auch die Schweiz verfährt bei der Umsetzung nicht immer ganz lupenrein. Etwa wenn ein Abstimmungsergebnis zu vorangegangenen Entscheiden im Widerspruch steht. Siehe Alpenschutz-, Masseneinwanderungs- oder Zweitwohnungs-Initiative. All diese Voten wurden vom Parlament abgemildert, um grösseren Schaden abzuwenden. Das ist in engen Grenzen legitim.

Man mag den Brexit gut finden oder schlecht. Aber die Briten wollten ihn, also sollen sie ihn auch haben. Und die Schweiz darf sich freuen, denn nun geht es endlich vorwärts mit dem EU-Rahmenabkommen. Bisher blieben die Gespräche mit Brüssel blockiert, weil sich dort alles um Grossbritannien drehte und nichts um die Schweiz.

Der gestrige Beschluss des Gesamtbundesrates passt prima dazu: Dass Ignazio Cassis (58) Aussenminister und damit für das schwierige EU-Dossier verantwortlich bleibt. Es gab keinen Grund, es ihm zu entziehen. Das Problem ist nicht Cassis. Sondern die Unfähigkeit des Bundesrates, sich auf eine Linie zu einigen. Denn ohne Geschlossenheit in der Regierung kann auch die beste Demokratie der Welt nichts erreichen.

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